„Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“
Georg Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, S. 14.
Jacques Derrida war ein französischer Philosoph, der 1930 in El-Biar (Algerien) geboren wurde und am 9. Oktober 2004 starb. Er studierte an der Ecole Normale Supérieure in Paris, wo er Schüler von Jean Hyppolite und Maurice de Gandillac war. Seit 1983 war er Studiendirektor an der École des hautes études en sciences sociales in Paris, wo er Professor für Philosophie und Professor an der Universität von Kalifornien war.
Auf Gedeih und Verderb ist der Name Jacques Derrida als Synonym für Dekonstruktion in die Geschichte der Philosophie und der Geisteswissenschaften eingegangen, auch wenn er aus rein akademischer Sicht derzeit zusammen mit dem Werk anderer Philosophen wie Michel Foucault oder Gilles Deleuze in einer umfassenderen Kategorie namens "Philosophie der Differenz" neu positioniert wird. Jacques Derridas komplexes Werk zeichnet sich durch eine große Verbreitung neuer (nicht ausschließlich begrifflicher) Begriffe wie différance oder Dekonstruktion selbst aus, die zusammen eine vielfache Kritik an der Geschichte der westlichen Metaphysik und Ontologie als phonozentrisch, logozentrisch oder phallozentrisch bilden.
Von diesem allgemeinen Rahmen der Revision von Rationalität und richtig philosophischen Konzepten ausgehend wird Jacques Derrida seine Arbeit aus so unterschiedlichen Bereichen wie transzendentale Phänomenologie, Sprachphilosophie, strukturalistische Semiotik, Ästhetik und Kunst, Psychoanalyse, Geschlechtertheorie, politische Philosophie, Geschichtsphilosophie, Rechtsphilosophie und Literaturtheorie ausüben.
Sein Werk ist vor allem eine Kritik der traditionellen Kategorien der Metaphysik, die zur dekonstruktiven Lektüre zahlreicher kanonischer Texte, seien sie philosophischer oder literarischer Natur, geführt und die Lehren beeinflusst hat, die das Sprachempfinden unserer Zeit am meisten beeinflusst haben. Aber möglicherweise ist es Derridas Hauptverdienst, dass er den traditionellen Begriff der Vernunft auf die philosophische Inthronisierung des Wortes bezogen hat. Ebenso hat er die französischen philosophischen Institutionen aus der Perspektive seiner neuen Art, philosophisches Werk zu verstehen, einer Kritik unterzogen. Gegenwärtig sind seine Thesen in der internationalen Philosophie, insbesondere in Frankreich und den Vereinigten Staaten, weit verbreitet.
Seine ersten Werke waren das Ergebnis einer kritischen Lektüre der Husserl'schen Phänomenologie, die er mit einer kritischen Vision der Psychoanalyse und ihrer Verbindung zur strukturalistischen Bewegung verband. In dieser ersten Phase seines Denkens versuchte Derrida, die metaphysischen Voraussetzungen der modernen Sprachwissenschaft und Bedeutungstheorien, die bis heute gültig sind, zu entlarven.
Die Dekonstruktion
Das Werk von Jacques Derrida zeichnet sich durch eine große terminologische Komplexität aus, in der bestimmte Neologismen im Überfluss vorhanden sind, die die meisten seiner verschiedenen Werke durchkreuzen.
Eine erste Behandlung des Begriffs, der sowohl im akademischen als auch im außerakademischen Bereich größere Verbreitung gefunden hat, ist jetzt grundlegend: Dekonstruktion. Wie Derrida selbst in „Letter to a Japanese Friend“ feststellt, stammt der Begriff der Dekonstruktion aus dem Versuch, die heideggerschen Begriffe der Zerstörung und des Abbaus zu übersetzen, als eine Operation der analytischen Demontage der Struktur oder der traditionellen Architektur der Gründungskonzepte der Ontologie oder der westlichen Metaphysik, die nicht übermäßig eine negative Reduktion - näher an der Nietzscheanischen Demolierung - oder die bloße Zerstörung einer Logik und ihre Ersetzung durch eine andere impliziert.
Jede Dekonstruktion wird eine neue Lesart sein, die absichtlich darauf abzielt, in einem Text all die Bedeutungen und Möglichkeiten zu suchen, die in ihm vorhanden sind und nicht der Text selbst, all das, was der "Selbst-Sinn" aus seiner Einheit verdrängt hat, um sich als solcher zu konstituieren.
Damit sind wir jedoch bereits voll und ganz beim zentralen Problem aller Dekonstruktion angelangt, einem Problem, das sie als Begriff betrifft, da die Dekonstruktion - sowohl der Architektur der westlichen Metaphysik insgesamt als auch bestimmter Diskurse oder kleinerer diskursiver Praktiken innerhalb dieser allgemeinen Architektur - immer die Suche nach jenen Momenten beinhalten wird, in denen die für jede Sprache - einschließlich der philosophischen Sprache - charakteristische Polyvalenz und Ambiguität versucht, die Identität des philosophischen Begriffs zu bestimmen.
Schließlich muss auch verkündet werden, wie eine der grundlegenden Grundlagen aller Dekonstruktion in ihrer Demontage der Architektur der westlichen Metaphysik als Bestimmung der Einheit des Begriffs darin besteht, den Glauben an den Vorrang der Stimme vor der Schrift als Grundlage der Einheit des Begriffs zu brechen, die durch die Unmittelbarkeit der Präsenz der Stimme gegenüber dem Gewissen gegeben ist, auf die sich Derrida mit dem Begriff „Phonozentrismus“ bezieht. Dies ist der kritische Punkt seiner Dekonstruktion des husserschen Werks. Diese Dekonstruktion der westlichen Metaphysik als phonozentrisch wird sich in Bezug auf die Psychoanalyse wiederholen, eine Disziplin, die direkt vom konzeptuellen Rahmen der westlichen Metaphysik abhängt, wo die Zentralität des Begriffs "Phallus" - eine bedeutende Leere, die die Einheit aller psychoanalytischen Interpretationen garantiert - der kritische Punkt von Derridas Dekonstruktion der Psychoanalyse als „phallozentrische“ Disziplin ist.
Die Dekonstruktion, die in Derrida bejaht wird, muss als der Versuch verstanden werden, das westliche Denken in gewisser Weise neu zu ordnen, vor einer vielfältigen Palette von Widersprüchen und nicht logisch-diskursiven Ungleichheiten aller Art, die weiterhin um die Risse herum schwebt, und sogar die erfolgreiche Entwicklung der philosophischen Argumente und ihre systematische Ausstellung. Dekonstruktion ist weder eine Doktrin, noch eine Philosophie, noch eine Methode. Es ist nur, so Derrida, eine „Strategie“ für die Zersetzung der westlichen Metaphysik. Die Dekonstruktion geht von der Sprache aus, aber durch sie umfasst sie Philosophie, Wissenschaft, Technologie und den Menschen. Sie erweitert ihren Anwendungsbereich, um die Inkonsistenzen von Texten aufzudecken, die in der Vergangenheit, in der Gegenwart, in Gesprächen, in Vorträgen, in Reden und in Übertragungen geschrieben wurden. Sie greift auf die Übertragungs-, Informations- und Kommunikationsmittel zurück, um deren Widersprüchlichkeiten präsent zu machen. Darüber hinaus dehnt Derrida in seinem Werk „Grammatologie“ diese Reichweite auf Gesten, auf journalistische Arbeiten und soziale Praktiken aus. „Jede soziale Praxis durchläuft Texte, und jeder Text ist in sich selbst eine soziale Praxis“, sagt Derrida.
Der Dekonstruktion wird vorgeworfen, sie betrachte alles als Rhetorik oder Literatur; aber es geht um eine Theorie, die die Produktion von Logiken impliziert, die nicht auf Rhetorik im Sinne der Sprech- oder Überzeugungskunst reduziert sind. Was die Dekonstruktion tut, ist die rhetorische Bestimmung der Diskursformen, der Ressource der Metapher oder Metonymie im theoretischen und vor allem philosophischen Diskurs zu markieren.
Die gesamte Industrie des Spektakels als eine nicht-individuelle Organisation des Diskurses, die durch große kapitalistische Maschinen läuft, setzt offensichtlich eine Rhetorik voraus. Ein Spektakel zu inszenieren, wie es Sänger, Politiker oder Dozenten tun, setzt eine Rhetorik voraus, die nicht nur aus Worten, sondern auch aus Gesten, aus dem Körper usw. besteht. Ein Politiker im Fernsehen liest einen bereits geschriebenen Text vor, während er den Bildschirm beobachtet, wobei er vorgibt, den Zuschauern in die Augen zu schauen; so wird die diskursive Rhetorik der Überzeugungskunst durch die Maschine interveniert und modifiziert.
Die Dekonstruktion ist ein aktives und strategisches Instrument, das in der großen Architektur des kulturellen Erbes des Westens erforderlich ist. Wir haben keine unmittelbarere und natürlichere Beziehung als die durch traditionelle Texte gestützte, die wir dekonstruieren müssen, um neue Interpretationsmöglichkeiten zu eröffnen.
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Bibliographie:
Jacques DERRIDA, Élisabeth ROUDINESCO: "Y mañana qué…". Fondo de Cultura Económica, Buenos Aires, 2009.
Dieser Essay soll eine Reihe von Kommentaren und Überlegungen zu dem 1795 erschienenen Buch Zum ewigen Frieden von Immanuel Kant enthalten, ein Text, der zwar unter den einschlägigen Werken Kants nicht viel erwähnt wird, aber darin zu sehen ist, eine Reihe von Vorschlägen, die darauf abzielen, auf die Kriegsprobleme seiner Zeit zu antworten. Vielleicht waren diese Lösungen jedoch zu weit fortgeschritten für eine Welt, die in einen beschleunigten industriellen Produktionsprozess eintrat und unweigerlich auf das Wettrüsten zusteuerte. Andererseits bezieht sich Zum ewigen Frieden zweifellos auf die Welt von heute und wir können uns fragen, ob der Traum von Kant vielleicht bereits verwirklicht worden ist, im Prozess der Globalisierung, oder ob die Europäische Union die dem Vorschlag Kants am nächsten kommende Realität ist. Gerechtigkeit als Mittel zur Erreichung des Friedens ist nur in komplexen Gesellschaften möglich, in denen die unter dem Banner einer egalitären internationalen Rechtsordnung eingegangenen Verpflichtungen in hohem Maße eingehalten werden. Wir können aus dem Text von Kant über die Beziehung Frieden-Recht-Politik nachdenken und überlegen, was unser Philosoph uns auf der Grundlage der Rechts- und der politischen Philosophie als notwendige Bedingungen für den ewigen Frieden vorschlägt.
I. Kants Republikanismus
Kants politisches Denken wird von den Idealen der Freiheit, Gleichheit und dem Wert des Individuums beherrscht, typisch für eine Aufklärung, die Kant in seinen politischen Schriften ergänzt und verteidigt. Ebenso wie in der Ethik wird auch in der Politik der Einzelne als Bürger als schöpferisches Subjekt der gemeinsamen öffentlichen Tätigkeit betrachtet. Die Gesetzgebungsfähigkeit des Menschen beruht auf dem formalen Charakter, mit dem Kant die Ethik versteht und der im kategorischen Imperativ zum Ausdruck kommt. Dieser Imperativ, als formales Prinzip der praktischen Vernunft, wird sich auf alle Anwendungsbereiche der letzteren, einschließlich der politischen Tätigkeit, erstrecken.
Frieden und Freiheit spielen in der politischen Philosophie Kants eine zentrale Rolle. Schon im Titel des Werkes scheint es sich so zu verhalten, dass Kant sich nicht auf einen fertigen und beendeten Frieden bezieht, sondern auf einen aktiven Frieden, einen Frieden, der durch die Bemühungen der Bürger der Republiken ständig erneuert wird. In diesem Werk sagt uns Kant, dass die Verfassung des Staates republikanisch sein muss. Eine republikanische Verfassung muss daher das Problem lösen, die individuelle Autonomie mit der gesellschaftlichen Ordnung in Einklang zu bringen. Die Wahl des Begriffs Republik von Kant, die auf den Rechten der Freiheit und Gleichheit beruht, scheint von der Französischen Revolution inspiriert worden zu sein.
Eine republikanische Verfassung ist die einzige, die zum ewigen Frieden führen kann. Für Kant ist der Frieden im Naturzustand des Menschen nicht gesichert. Hier stimmt Kant mit Hobbes überein. Für Hobbes ist der Mensch in seinem natürlichen Zustand in ständigem Krieg mit dem Mensch "homo homini lupus". Doch während für Hobbes die Ordnung der Gesellschaft, die durch einen absoluten Souverän (den Leviathan) garantierte Glück ist, hat dies für Kant mehr mit praktischer Vernunft zu tun. Die einzige Verfassung, die darauf antworten kann, ist die republikanische, die auf der Freiheit der Glieder der Gesellschaft (als Menschen), auf der Unterordnung aller unter eine gemeinsame Gesetzgebung (als Untertanen) und auf der Gleichheit aller (als Staatsbürger) beruht. Kant bezieht sich hier nicht auf eine moralische Freiheit, sondern auf eine politische Freiheit, d.h. die Befugnis, keinem Gesetz zu gehorchen, außerhalb dessen ich nicht meine Zustimmung gegeben habe. Das Abhängigkeitsprinzip bezieht sich auf die Tatsache, dass wir alle dem Gesetz in einem Staat untergeordnet sind. Ebenso bedeutet das Gleichheitsprinzip, dass wir alle als Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind. Diese republikanische Verfassung ist im Wesentlichen repräsentativ. Eine direkte Demokratie birgt die Gefahr einer willkürlichen Gewaltherrschaft, da die gleichen Leute, die die Gesetze machen, auch die sind, die sie verwalten.
Einmal gegründete Republiken führen zu friedlichen Beziehungen. Für diese Theorie argumentiert Kant, dass es in einer Republik, in der die individuellen Freiheitsrechte respektiert werden, sehr unwahrscheinlich ist, dass Individuen einer Kriegserklärung zustimmen und unter den Folgen des Krieges leiden wollen. In einem Staat mit einer nicht republikanischen Verfassung ist Krieg stattdessen eine einfachere Sache, da die Staatsoberhäupter beschließen, Krieg in ihrem eigenen Interesse zu führen, da Kriege sie nicht direkt betreffen. Aber der Einzelne will nicht unter den Folgen des Krieges wie Schulden, wirtschaftlichem Ruin und menschlichen Verlusten leiden. Ich denke hier, wie unsere Demokratien heute gerade unter dieser Warnung Kants leiden: Staatsoberhäupter erklären den Krieg, während ihre Bürger nicht einverstanden sind. Ein Beispiel könnte die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan sein: Wenn wir eine Umfrage unter deutschen Staatsbürgern durchführen würden, würde die Mehrheit die Beteiligung der deutschen Armee an einem solchen Krieg unterstützen?
Um die Republik von der Demokratie zu unterscheiden, verwendet Kant zwei Differenzierungen: nach den Formen der Beherrschung (Autokratie, Aristokratie und Demokratie) und nach der Regierungsform (Republikanismus oder Despotismus). Die zweite Klassifizierung ist die wichtigste, und Kant sagt, dass Demokratie eine Form von Despotismus ist. Das Problem der Demokratie besteht darin, dass die Legislative und die Exekutive letztlich in der Exekutive enden: Wenn die Regierung Gesetze anwendet, die sie selbst erlassen hat, wird der öffentliche Wille vom privaten Willen des Machthabers bestimmt.
Der grundlegende Unterschied zwischen Republik und Demokratie liegt für Kant in der Repräsentativität und der Gewaltentrennung. Für Kant bedeutet die Volkssouveränität nicht, dass das Volk die Gesetze sofort selbst macht. Souveränität wird durch Repräsentation ausgeübt. Das Problem ist, dass die Repräsentation in einer Demokratie klein ist, da es viele Bürger gibt, die sich mit öffentlichen Tätigkeiten und politischen Rollen befassen. Diese Situation führt dazu, dass jeder alles haben will: Wenn Jeder Gesetze erlässt, werden private Interessen durchgesetzt. Auch wichtig zu betonen ist, dass für die Republik die Zustimmung der Mehrheit nicht unbedingt erforderlich ist, denn wenn die Gesetze den Willen der Mehrheit ausdrücken, werden sie den Minderheiten auferlegt. Der zweite grundlegende Aspekt für Kant ist die Gewaltentrennung. Die Gewaltentrennung geht Hand in Hand mit der Repräsentation. Kant betont die Trennung von Exekutive und Legislative, da diese Einheit zu Despotismus führt. In diesem Fall frage ich mich, ob Kant vielleicht ein Visionär war. Wenn der Philosoph sehen könnte, wie sich heute Despotismen unter dem Namen "Demokratien" ausbreiten, wäre er überrascht, dass seine Vorstellungen über die Konzeption von Politik noch aktueller sind denn je.
II. Ewiger Frieden und Friedensbund
Frieden zwischen Staaten entsteht nicht, weil es im Moment keinen Krieg gibt, sondern weil es das Bestreben gibt, in Zukunft keinen Krieg zu führen, obwohl die Akteure der internationalen Ordnung an militärischer und wirtschaftlicher Macht gewinnen, so dass die Versuchung für die Stärksten besteht, die Schwächsten zu unterwerfen, unabhängig von Verträgen, Verhandlungen, Abkommen oder anderen Eindämmungsmechanismen.
Die Konstruktion einer neuen Welt in Kants Vision impliziert, dass die Staaten aus Bürgern (im weiten Sinne des Wortes) bestehen, denn für ihn litt Europa unter dem Übel der Regierungen, die den Einzelnen als Subjekt betrachten, das nach Belieben benutzt und missbraucht wird, wodurch der Staat und seine Institutionen zum Erbe einiger weniger werden, deren einziger Verdienst es war, im Privileg geboren zu sein. Als ein Mensch seiner Zeit war Kant erfreut, die Zerstörung des alten Regimes in Frankreich und die emanzipatorischen Errungenschaften des neuen Bürgers zu beobachten. Nur Republiken freier Menschen konnten Frieden erreichen.
Ein weiterer Faktor, der für Kant betrachtet werden sollte, ist das Aufhören der stehenden Heeren, da die Aufrechterhaltung des Friedens wegen der damit verbundenen Kosten unterdrückt, abgesehen davon, dass diese immer eine ständige Bedrohung für die Zivilregierung sein werden, aber wir könnten sagen, dass, wenn die Welt ein Raum des ständigen Krieges ist, wäre es dann nicht von Nachteil, eine Berufsarmee aufzugeben und die Verteidigung des Landes mit mehr oder weniger ausgebildeten Milizen zu unterstützen?
Die Realität zeigt, dass die internationale Ordnung durch einen ständigen Kriegszustand gekennzeichnet ist, in dem sich die Nationen wie egoistische Individuen verhalten und Kant ist der Ansicht, dass die Hilfe für die eine oder die andere Seite die grundlegendsten Rechte der Völker verletzen würde, sagt unser Autor:
Solange aber dieser innere Streit noch nicht entschieden ist, würde diese Einmischung äußerer Mächte eine Verletzung der Rechte eines nur mit seiner innern Krankheit ringenden, von keinem andern abhängigen Volks, selbst also ein gegebenes Skandal sein und die Autonomie aller Staaten unsicher machen.
Es scheint, dass Kant unsere Zukunft prophezeit, in der es oft eine Intervention eines anderen Staates zur Unterstützung einer bestimmten Seite eines fremden Landes gibt. Man kann sogar sagen, dass es eine Charakteristik der Weltmächte ist, in die internen Konflikte anderer Länder einzugreifen, um ihre Hegemonialrolle, d.i. Imperialismus, zu betonen, die das Prinzip all derer ist, die ihre Mitmenschen, seien es Einzelpersonen oder Staaten, beherrschen und unterwerfen wollen.
Um das Ideal des ewigen Friedens zu erreichen, muss die Verfassung jedoch republikanisch sein, d.h. sie muss drei grundlegende Eigenschaften aufweisen: Freiheit der Glieder einer Gesellschaft, rechtliche Abhängigkeit und Gleichheit vor den Gesetzen, in der die Bürger selbst über den Krieg entscheiden lassen.
Einmal mehr sieht Kant die zwingende Notwendigkeit eines Staates, der auf republikanischen, aber nicht unbedingt auf demokratischen Prinzipien beruht, für ihn sind die Bedingungen, auf denen die Republiken aufgebaut sind, wichtiger als die Regierungsform. Sie lehnt jedoch klar die monarchische Regierung ab, in der die Einwohner Untertanen im Ermessen der Souveräne sind, die bedenkenlos Millionen in den Tod schicken könnten, solange ihre Privilegien nicht beeinträchtigt würden.
Nachdem wir die republikanischen Aspekten gemerkt haben, auf die Kant hinweist, damit Staaten nicht in Konflikte geraten, kommen wir zu dem, was mir als die wesentliche These erscheint: die Schaffung einer Föderation des Friedens, die nach und nach geformt wird und alle staatlichen Akteure in die internationale Ordnung integriert:
-So muß es einen Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund (foedus pacificum) nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suchte.
Zwar im Sinne der Integration der Staaten, aber unter Achtung der rechtlichen Formen, d.i. die Souveränität, zu denen sich jede Nation entschlossen hat, schlägt Kant vor, einen fortgeschrittenen und aufgeklärten Staat zum Epizentrum dieser Föderation zu machen, bis ein ewiger Friede als Ideal erreicht ist, das durch die gegenseitige Verpflichtung zur Hilfeleistung erreicht werden kann, inspiriert von dem Grund, der früher oder später alle Völker als Folge der evolutionären Entwicklung des Rechtsstaates berührt; auf diese Weise bewegen wir uns unaufhaltsam in Richtung Weltintegration als Strategie zur Erreichung eines lückenlosen Friedens. Nun können wir uns fragen aber was ist mit denen, die dieser Föderation nicht beitreten wollen oder können. Es ist möglich, dass die Integration auf eine autoritäre Weise erfolgt oder dass viele Staaten isoliert werden und am Rande der Welt bleiben, was heute auch geschieht mit Ländern der Peripherie, die strukturelle Probleme haben. Alle diejenigen, die sich nicht an den von den Vereinten Nationen (UNO) oder vielen anderen supranationalen Organisationen diktierten Rechtsformen beteiligen, sind dazu verurteilt, von der "Güte" des Weltsystems ausgeschlossen zu werden und sogar unter der Bedrohung zu leben, überfallen und interveniert zu werden.
Die kosmopolitische Ordnung dieses Friedenbundes ist vom innerstaatlichen Rechtsstaat zu unterscheiden, nämlich dass sich Staaten (wie Menschen im Naturzustande) nicht den öffentlichen Gesetzen und einem Zwange einer höheren Macht unterwerfen dürfen, sondern ihre Unabhängigkeit bewahren müssen. Die geplante Föderation freier Staaten, die den Mechanismus des Krieges durch die Beziehungen zwischen ihnen ein für alle Mal ausschaltet, muss die Souveränität ihrer Mitglieder unberührt lassen, d.h. die Partnerstaaten behalten langfristig ihre rechtliche Freiheit und werden nicht in einer Weltrepublik absorbiert. Diese Föderation muss aus den Freiwilligkeitsakten der internationalen Verträge hervorgehen, die nun nicht mehr nach dem Modell des Gesellschaftsvertrags gedacht werden müssen. Denn die Verträge begründen keine rechtlich durchsetzbaren Ansprüche der Mitglieder, sondern binden sie nur durch ein auf Dauer angelegtes Bündnis, durch eine kontinuierlich freie Assoziation (foedus pacificum – pactum pacis).
Für Kant ist die Friedensabsicht mehr als genug Garantie für die Konkretheit dieser Föderation. Danach sagt uns der Philosoph, dass die große Künstlerin Natur (natura daedala rerum) diese Garantie leistet. Obwohl es scheint, dass die republikanische Verfassung ein unerreichbares Ideal ist, wenn man die Neigungen der Menschen und ihren Egoismus in Betracht zieht, kommt die Natur zur Hilfe.
Kants Traum, der auf der praktischen Vernunft beruht, würde es für die Völker unwiderstehlich machen, sich in eine Ära des Friedens und des Fortschritts zu integrieren, ohne dass dies den Verzicht auf ihre Identität und ihre Lebensweise impliziert. Vielleicht ist dieses Übermaß an Utopismus auf Kants Seite durch den Triumph der Französischen Revolution und die Ausbreitung seiner Ideen beeinflusst, die in seinem bekannten Motto zusammengefasst sind: "Liberté, Égalité, Fraternité", und all dies nicht mehr von der Idee Gottes oder einer christlichen Moral inspiriert oder provoziert, sondern von der Vernunft; diese Ideen würden sich in ganz Europa ausbreiten, die mit Erstaunen sahen, was in dem repräsentativsten Land des absolutistischen Staates geschah.
Das kantische Konzept einer Vereinigung von Nationen, die letztlich die Souveränität der Staaten respektiert, ist jedoch meiner Meinung nach nicht konsequent. Das Problem liegt darin, dass das kosmopolitische Recht (also von dem Friedensbund) so institutionalisiert werden muss, damit es die verschiedenen Staaten aneinander bindet. Es ist anzunehmen, dass es eine Verfassung für den ganzen Friedensbund geben soll. Das Außenverhältnis des geregelten internationalen Austauschs zwischen Staaten wird so in ein Innenverhältnis umgewandelt, das auf einer Verfassung beruht. Wenn wir uns ansehen, was über militärische Aktionen gegen Bedrohungen des Friedens in der Charta der Vereinten Nationen steht und was in der Wirklichkeit geschieht, dann finden wir große Widersprüche. Es ist auch verboten, dass die Vereinten Nationen sich in die inneren Angelegenheit von Staaten einmischen. Trotzdem wird der Sicherheitsrat kontrolliert vor allem nur von den Weltmächten und hinter dem guten Streben der Vereinten Nationen, werden Interessen von Macht und Einmischungen gespielt. Sicherheit wird heute, zumindest in den Beziehungen zwischen den Mächten, mit Atomwaffen gewährleistet; nicht durch den normativen Rahmen der UNO, sondern durch Sicherheitspartnerschaften z.B. „The Joint Comprehensive Plan of Action“. Es bleibt zu fragen und nachzudenken, ob das Kant'sche Ideal erreicht werden kann, wenn wir an die Beispiele der Vereinten Nationen oder der Europäischen Union denken.
Schlussfolgerungen
Der von Kant vorgeschlagene ewige Frieden durch einen Staatenbund ist bis heute ein philosophischer Vorschlag von großer Bedeutung. Man könnte sagen, dass bestimmte Aspekte einer solchen Idee in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg in Form der Europäischen Union verwirklicht wurden, als Folge der schrecklichen Verwüstungen, die dieser Krieg anrichtete, und der latenten Gefahr einer nuklearen Konfrontation, die das menschliche Leben auf dem Planeten vollständig beenden würde. Die Prozesse der wirtschaftlichen Integration, die in der Europäischen Union kulminieren würden, die sich zu einem Raum des wirtschaftlichen Wohlstands entwickelt, sind in gewisser Weise auch Mittel und Wege, um den europäischen Frieden herbeizuführen, aber ich glaube nicht, dass Europa seine hegemonialen und eurozentrischen Ambitionen aufgegeben hat: Unter dem Banner von Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechten präsentieren sich der europäische Kontinent und die Vereinigten Staaten von Amerika wieder als Träger der Vernunft und der zivilisierten Welt, ohne jedoch den Rest der Welt in ihre Friedensföderation zu integrieren.
"Es darf keinen Krieg geben" ist der daraus resultierende kategorische Imperativ, der als unwiderrufliches Veto unsere moralische Vernunft diktiert. Gleichzeitig aber präsentiert uns die Geschichte den Krieg als eine permanente Ressource in den Beziehungen zwischen den Völkern und bietet ein tragisches Szenario menschlichen Handelns, das nur mit den Begriffen Wahnsinn und zerstörerische Absicht beschrieben werden kann.
Das Bewusstsein unseres Zustandes als autonome moralische Subjekte ist der einzig gültige Ausgangspunkt im praktischen Denken zur Erreichung eines ewigen Friedens. Hoffentlich kann die heutige Lektüre Kants auch eine Motivation für den so ersehnten Frieden sein. Fiat iustitia, pereat mundus!
Seit 2013 ist in Argentinien der von damaliger Staatspräsidentin ausgesprochene Satz populär geworden: "La Patria es el otro", also die Heimat ist der Andere. Wie viel ist real in dieser wiegenden politischen Phrase, die mit einem grundlegenden Konzept von Solidarität und Empathie, aber auch mit Demagogie aufgeladen zu sein scheint? Es scheint, dass die demokratische und republikanische Konstruktion viel mit diesem Satz zu tun hat, und um ihn zu analysieren, werde ich mich auf die politische Theorie von Hannah Arendt beziehen.
Hannah Arendt gilt als eine der größten Figuren der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, und heute sind ihre Figur und ihr Werk der Schlüssel zum besseren Verständnis der politischen Szene moderner Demokratien. Die Entwicklung der Demokratien hin zu praktischen Formen totalitärer Systeme, Gesellschaften, die aus isolierten Individuen bestehen, der Markt als Strukturelement oder das Primat der Medien, all diese Fragen veranlassen uns, uns mit Arendts Denken und intellektuellem Erbe auseinanderzusetzen. Der rote Faden, der sich durch ihr gesamtes Werk zieht, ist die Wiedergewinnung der Bedeutung des politischen Handelns als der höchsten menschlichen Aktivität und des öffentlichen Raums, in dem sie sich manifestiert. Das politische Denken Arendts und ihr klassischer Republikanismus sind für unsere vorliegende Studie die Grundlagen, um die Bedeutung des öffentlichen Raums, des Sprechens und Handelns, der Pluralität und der Hinwendung des Blicks "zum Anderen" zu reflektieren. Diese Instrumente sind unerlässlich, um über ein politisches Modell gegen den Vormarsch des Autoritarismus und der extremen Rechten in der heutigen Welt nachzudenken.
Der klassische Republikanismus und der Mensch als politisches Wesen
Hannah Arendt betont in ihrem Buch „Vita activa“, dass die kardinalen und grundlegenden Elemente allen republikanischen Denkens (demokratisch und libertär) erstens die Annahme des Menschen als „politisches Tier“, als Bürger voller Macht, Rechte und Pflichten, und zweitens die Charakterisierung einer Polis als Organisation von Menschen, wie sie sich aus dem gemeinsamen Handeln und Sprechen ergibt, sind. Zur Unterstützung dieses Ansatzes unterscheidet sie zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre, wobei die Betonung auf dem Öffentlichen (dem Wirkungskreis; dem Ausdruck der Freiheit) liegt, während das Private auf die materielle Befriedigung von Grundbedürfnissen reduziert wird. Die Öffentlichkeit ist in der Tat der Bereich des Zwecks und der Verwirklichung von Personen; das Private, das der Mittel, ist der wiederkehrende Bereich, der notwendig ist, um sich als Lebewesen zu erhalten. Darüber hinaus bedeutet das öffentliche Leben, von einer Vielzahl von Personen gesehen und gehört zu werden, die sich an einer Debatte zwischen den Meinungen beteiligen, in einem Umfeld, das Mut, Offenheit und Anerkennung, aber auch Exposition und Risiko erfordert. Im Gegensatz dazu entspricht die Privatsphäre, die οἶκος, der vorpolitischen Sphäre des Hauses und des Arbeitsplatzes.
Der öffentliche Raum (d.h. die „Republik“) ist in erster Linie die Bühne für selbstverwirklichendes politisches Handeln, dessen Gefüge die Tragödie des Lebens in kollektive Kreativität verwandeln soll. Bei einer solchen Leistung artikulieren Menschen eine gegenseitige horizontale Macht, die sie dazu bringt, sich nicht nur zu organisieren, sondern etwas Neues zu gründen, jenseits ihrer sterblichen Natur. Dieses Projekt wird auf sichtbare Weise vor den übrigen Bürgern ausgeübt, und mit ihm wird die öffentliche Sphäre mit Bedeutung gefüllt. Die Republik ist ein relationales Konzept, das Freiheit und Selbstverwaltung fördert und aufrechterhält. Deshalb erfordert die Konstruktion des Gemeinwohls ein intersubjektives kritisches Urteilsvermögen und die ständige Beteiligung der Bürger an kollektiven Aktionen. Arendt wiederum versteht Handlung als Selbstoffenbarung und sogar Selbsterneuerung des Akteurs durch das Medium der Sprache, die nur in Anwesenheit anderer, die sehen und hören und damit die Realität eines gemeinsamen Ausdrucks herstellen können, möglich wird.
Die republikanische Tugend beruht also nicht auf der Auferlegung eines siegreichen Willens, sondern auf der Kraft, die aus der Übereinkunft und dem gegenseitigen Versprechen der zu einer Aktion versammelten Menschen erwächst. Sie braucht Bürger, die von gemeinsamen Gefühlen und nicht von privaten Interessen bewegt werden. In der für den Republikanismus typischen komplexen Verflechtung von Institutionen, Gesetzen und Gebräuchen richtet die öffentliche Debatte menschliche Schwächen aus. Auf diese Weise ist die Republik als Rahmen für Aktion, Deliberation und Freiheit mit einer starken Vorstellung von Staatsbürgerschaft verbunden, die einen existentiellen Sinn hat und die gesamte Identität kompromittiert. Der Mensch als Bürger ist ein Wesen mit einer einzigen moralischen Ausbildung, das die Überzeugungen anderer respektiert.
Schließlich setzt die Republik eine Pluralität von Individuen voraus, die ungleicher Natur sind und dennoch als politisch gleich konstruiert sind. Wenn Arendt von Pluralität spricht, versteht sie, dass es sich um eine Pluralität des Unterschiedenseins handelt, und betont die Unterscheidung:
Das Faktum menschlicher Pluralität, die grundsätzliche Bedingung des Handelns wie des Sprechens, manifestiert sich auf zweierlei Art, als Gleichheit und als Verschiedenheit. Ohne Gleichartigkeit gäbe es keine Verständigung unter Lebenden, kein Verstehen der Toten und kein Planen für eine Welt, die nicht mehr von uns, aber doch immer noch von unseresgleichen bevölkert sein wird. Ohne Verschiedenheit, das absolute Unterschiedensein jeder Person von jeder anderen, die ist, war oder sein wird, bedürfte es weder der Sprache noch des Handelns für eine Verständigung; eine Zeichen- und Lautsprache wäre hinreichend, um einander im Notfall die allen gleichen, immer identisch bleibenden Bedürfnisse und Notdürfte anzuzeigen.[1]
Aus diesem Zitat scheint klar hervorzugehen, dass für Arendt die dauerhafte Bewahrung des Elements des menschlichen Unterschiedenseins bzw. der Verschiedenheit im Handlungsablauf einen Einfluss auf die Ablehnung der Etablierung kollektiver Identitäten hat, unabhängig davon, ob diese auf Rasse, Religion oder Ideologie beruhen. Es ist diese radikale Vorstellung von Pluralität, die sie letztlich von jeder Idee eines universell gültigen rationalen Konsenses entfremdet. Nur durch öffentliche Beratungen - unter Bürgern, gleichberechtigt - können Vereinbarungen getroffen werden, und diese werden für eine bestimmte Gesellschaft immer vorübergehend und wirksam sein. Das Gut, das eine Gemeinschaft anstrebt, ist immer ein plurales Gut, d.h. ein Gut, das die Unterschiede zwischen den Menschen widerspiegelt und die gegenseitigen Interessen berücksichtigt: ihre unterschiedlichen Interessen und Meinungen und gleichzeitig die Bande, die sie als Bürger verbinden, d.h. Solidarität und Gegenseitigkeit.
Menschenrechte und Freiheit in der Republik
Nachdem Hannah Arendt die Erfahrung des Totalitarismus gelebt und analysiert hatte, verteidigte sie die Idee, dass jeder Mensch „das Recht hat, Rechte zu haben“, eine Argumentation, die nicht nur als Antwort auf den Zustand staatenloser Menschen (wie sie sich selbst in den USA fühlte) relevant wird, sondern als Antwort auf den Schutz und die Garantie von Rechten für jeden Bürger einer politischen Gemeinschaft, die sich als verfassungsmäßig-demokratisches Regime ausgibt. In ihrer Kritik an den Menschenrechten im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg fragt Arendt, warum das Konzept der natürlichen und unveräußerlichen Rechte die Menschheit zu der Zeit, als sie am meisten gebraucht wurden, im Stich gelassen hat, obwohl es anderthalb Jahrhunderte zuvor in Frankreich ausgesprochen worden war. Darauf antwortet sie, dass, wenn der Einzelne nicht Mitglied einer politischen Gemeinschaft ist, seine Rechte nicht so heilig sind, wie das Konzept der individuellen Rechte vermuten lässt. Die politische Befugnis ist einfach unfähig, sich bei den Besitzlosen zu verwirklichen, wenn sie nicht als gleichberechtigte Mitglieder der Menschheit anerkannt werden.
In diesem Sinne hängt die Garantie des „Rechts auf Rechte“ nicht nur von der Existenz von Gesetzen ab, die den Status der Bürgerschaft mit ihren Gedanken-, Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit schützen, sondern auch, und das ist ebenso wichtig, von der Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft, die sich an einen öffentlichen Raum anlehnt, der aus einer Reihe von Netzwerken von Bürgern besteht, deren Gewohnheiten und bürgerliche Sitten zur Bildung eines bürgerlichen Gefüges führen, das in der Lage ist, die Ausübung dieser Rechte zu schützen und zu garantieren. Eine der wichtigsten Aussagen von Arendts Gedanken ist, dass wir nicht als Gleiche geboren werden, sondern dass wir als Mitglieder einer Gruppe durch eine bewusste menschliche Anstrengung der Gruppe oder Gemeinschaft selbst gleichberechtigt und gleichrangig werden, um uns gegenseitig gleiche Rechte zu garantieren.
Arendts Relevanz für die Postulierung von Freiheit als politisches Handeln liegt darin, die Debatte über die universelle Geltung der Menschenrechte auf die Schaffung eines öffentlichen Raumes, lokal und global, zu verlagern, in dem der Mensch handelt, spricht und seine Meinung äußert, um die Verwirklichung dieser Rechte einzufordern. Sie schlägt eine Brücke zwischen den Prinzipien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und ihrer Verwirklichung, indem sie das Versprechen in die Tat umsetzt, dass etwas anderes kommen wird. Durch Handeln schafft sie die Beziehung zwischen Politik und Recht, deren Ausdruck sich in dem Moment manifestiert, in dem die Akteure die Anerkennung ihrer Menschenrechte einfordern.
Aus Arendts Überlegungen können wir also schlussfolgern, dass zur Verbesserung der Qualität der Demokratie im Sinne der Schaffung von Gesellschaften, die mehr Schutz der Rechte bieten, drei wichtige Dimensionen berücksichtigt werden müssen. Die erste wäre die Existenz einer republikanischen Verfassung, die die Rechte und Grundfreiheiten aller Bürger garantiert, ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Klasse oder irgendeinem anderen willkürlichen Element. Zweitens die Herausbildung einer politischen Kultur, die sich in ihren alltäglichen Gewohnheiten und Bräuchen des Zusammenlebens nach den Prinzipien der Menschenrechte richtet, so dass die Verfassung als Regierungsform und Koexistenz der gesamten Gemeinschaft zu einer realen Existenz wird. Drittens die Existenz eines öffentlichen Raumes, der durch ein Netz von Netzwerken von Bürgern gebildet wird, die nicht nur in ihren Gewohnheiten und Bräuchen handeln und den Raum der Rechte und Freiheiten aller respektieren, sondern auch in der Lage sind, ihre Stimme gegen jeden Missbrauch oder Versuch zu erheben, sowohl ihre eigenen Rechte als auch die anderer zu dominieren. Die Garantie von Rechten ist also besser, wenn die Vielfalt und Pluralität der Bürger einer Gemeinschaft mit der Bedeutung gleicher politischer Freiheit und Rechte für alle zusammenfällt und sich für die aktive Anerkennung dieser Rechte einsetzt, ohne dass dieser Status an Bedingungen geknüpft ist.
Das Prinzip, das die politischen Beziehungen nach Arendt leiten sollte, ist daher das republikanische Prinzip der Achtung der gleichen Würde, der gleichen Freiheit und der gleichen Rechte, woraus sich die Möglichkeit ergeben würde, politische Beziehungen auf der Grundlage des Respekts, der gegenseitigen Anerkennung und der Abwägung von Unterschieden herzustellen. Die Konstruktion der politischen Gemeinschaft fällt somit mit der Konstruktion eines öffentlichen Raumes zusammen, der durch die Gesetze und Gewohnheiten und Gebräuche der Bürger Freiheit, Pluralität und Rechte garantiert und die Freiheit eines jeden Menschen akzeptiert, sich frei zu äußern und seine Handlungen berücksichtigen zu lassen. Sie impliziert auch einen gesellschaftlichen Konsens über die Grundsätze, Rechte und Verfassungsinstitutionen, die diese Freiheit und Pluralität ermöglichen und schützen. Kurz gesagt, Rechte sind keine selbstverständlichen Wahrheiten; sie sind das Ergebnis eines lebendigen öffentlichen Raums, der aus Bürgern besteht, die die Bräuche und bürgerlichen Praktiken im Einklang mit dem Konsens leben.
Die Herausforderungen des Republikanismus
Für Arendt haben moderne Gesellschaften mit den Unsicherheiten der Arbeitswelt, dem Druck des sozialen Status, dem Streben nach Macht, der Konzentration auf die eigenen wirtschaftlichen und nicht auf die politischen und bürgerlichen Bedürfnisse Bräuche von extremer Souveränität und Welt-Entfremdung von der Politik hervorgebracht. Die Bürger werden nicht dazu ermutigt, selbstständig zu denken, kritisch zu denken, sich zu beteiligen und sich über die Folgen ihres Handelns für die Rechte anderer und für das öffentliche Leben und das Gemeinwohl Gedanken zu machen. Im Gegenteil, die Bräuche, die mit einer Gesellschaft von Angestellten von Institutionen verbunden sind, die durch Hierarchien gekennzeichnet sind, werden die des unkritischen Gehorsams gegenüber der Autorität, der Aufrechterhaltung des Status quo, des egoistischen Individualismus sein. Daraus leitete Arendt eine politische Theorie des Republikanismus ein, in der es eine Reflexion gibt, die sich besonders mit den Beziehungen, Praktiken und Gewohnheiten der Bürger befasst, die die Sorge um die Menschenrechte, die Freiheit und die republikanischen Institutionen, die sie ermöglichen, ermöglichen.
Eine der Tendenzen, die in Gesellschaften zu beobachten sind, die durch übermäßige Selbstabsorption in der einzelnen Person und Unzufriedenheit gegenüber der öffentlichen Welt gekennzeichnet sind, ist die Flucht vor der Verantwortung der Bürgerschaft durch andere, überflüssigere und konformistischere Anliegen des Einzelnen und der Wirtschaftswelt, die demokratische, respektvolle und partizipatorische Haltungen und Praktiken nicht begünstigen. Dies sei darauf zurückzuführen, so Arendt, dass Handlung und Rede zur Privatsphäre des Alltags geworden seien, während die Arbeit die Hauptfunktion des modernen Lebens erfülle:
So ist zu erklären, daß das Arbeiten, das in der Neuzeit in der Öffentlichkeit vollbracht wird, auf eine so außerordentliche Weise vervollkommnet worden ist, während unsere Fähigkeiten zu handeln und zu sprechen, die in diesem Zeitraum in die Sphäre des Privaten und des Intimen gedrängt wurden, so offensichtlich an Qualität eingebüßt haben.[2]
Mit der industriellen Revolution entstanden auch soziale Klassen, und das Streben nach sozialem Aufstieg erhielt eine neue und andere Bedeutung. All dies führte auch zur Entstehung bestimmter kultureller Formen, bestimmter Lebensformen und sogar bestimmter Philosophien, die sich auf das individuelle Privatleben konzentrierten. Die Welt des Privaten wurde nach und nach zum wesentlichsten Teil des individuellen und öffentlichen Lebens, wodurch die Sorge, Beteiligung und Verantwortung der Bürger für die öffentliche und institutionelle Welt zurücktrat:
Der privative Charakter des Privaten liegt in der Abwesenheit von anderen; was diese anderen betrifft, so tritt der Privatmensch nicht in Erscheinung, und es ist, als gäbe es ihn gar nicht. Was er tut oder läßt, bleibt ohne Bedeutung, hat keine Folgen, und was ihn angeht, geht niemanden sonst an. In der modernen Welt haben diese Beraubungen und der ihnen inhärente Realitätsverlust zu jener Verlassenheit geführt, die nachgerade ein Massenphänomen geworden ist, in welchem menschliche Beziehungslosigkeit sich in ihrer extremsten und unmenschlichsten Form äußert.[3]
In der heutigen Gesellschaft gibt es einen wachsenden Individualismus, dessen Verhalten vom Wunsch nach Akkumulation und Konsum geleitet wird, verbunden mit der Suche nach dem Aufstieg in den sozialen Status, der viele der Praktiken und Verhaltensweisen in den zeitgenössischen Gesellschaften kennzeichnet, die kulturelle Lebensformen bilden, die in der privaten Welt konzentriert und von der öffentlichen Welt entfremdet sind. Diese Lebensformen, die soziale Ungleichheit und der wachsende Individualismus führen dazu, dass in vielen heutigen Gesellschaften die Menschenrechte verletzt oder Minderheiten angegriffen werden, ohne dass der Bürger daran interessiert ist. Wenn Bürger nur um ihre Interessen, Ambitionen und privaten Ziele herum handeln, mit Apathie und Unzufriedenheit gegenüber den Grenzen, die ihnen durch Verantwortung, Engagement für die Öffentlichkeit, Rechtmäßigkeit, bürgerliches Zusammenleben und demokratische Institutionen auferlegt werden, haben wir es mit einem der risikoreichsten und am schwierigsten umzukehrenden gesellschaftlichen Phänomene zu tun, aber auch mit einem der wichtigsten, das für den Aufbau einer Bürgerschaft und einer öffentlichen Welt, die sich von den in demokratischen Verfassungen verankerten Prinzipien, Rechten und Institutionen leiten lässt, angegangen werden muss.
Arendts Theorie lehrt uns, dass die starke Präsenz wirtschaftlicher Interessen und Themen im politischen Leben und in den Institutionen sowie der wachsende Individualismus und die zunehmende Unzufriedenheit gegenüber der Öffentlichkeit und der Politik die Qualität und die Ziele der politischen Kultur und das Funktionieren der demokratischen Institutionen beeinflussen können, Diese Organisations-, Konsum- und Lebensformen erschweren ein bürgerschaftliches Engagement, das, wenn nötig, in der Lage ist, seinen übertriebenen Individualismus gegenüber den Werten Verantwortung, Anerkennung von Rechten, Solidarität, Vielfalt, Gleichberechtigung der Bürger und Demokratie, Empathie und politisches Engagement hinter sich zu lassen.