Gedanken zur Eigentumsphilosophie unter Bezugnahme auf Marcel Mauss

Gedanken zur Eigentumsphilosophie unter Bezugnahme auf Marcel Mauss
In unseren heutigen, vornehmlich westlich-kapitalistischen Gesellschaften, hat sich ein profanes, durch die Geldflexibilität induziertes Verständnis von Eigentum durchgesetzt.

Der berühmte Soziologe Marcel Mauss beschäftigte sich in seinem Hauptwerk „Die Gabe“ mit der Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Dabei erkannte er, dass es in früheren Wirtschafts- und Rechtsordnungen fast niemals einen Austausch von Gütern, Reichtümern und Produkten zwischen Individuen, wie wir es heute in unserer durch die Geldökonomie flexibilisierten Gesellschaft kennen, gab.

Handel ist ein vornehmlich kollektiver Vertrag zwischen moralischen Personen (Familien, Clans, Stämmen), der je nach den ausgetauschten Gütern unterschiedliche Funktionen erfüllt. Der gewöhnliche Austausch von wirtschaftlich nützlichen Gütern steht einer weit komplexeren Form, die wir mit Mauss Worten als totale Leistung verstehen müssen, gegenüber. Gesellschaftliche Phänomene sind infolgedessen als total zu bezeichnen, wenn sie alle Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens konstituieren. Mit anderen Worten erkannte Mauss im Austausch bestimmter Güter, hierzu zählen neben Reichtümern der Familie auch Höflichkeiten, Festessen, Rituale, Militärdienste, Frauen, Kinder, Tänze und Feste, eine Vertragsform, die sowohl ökonomische, juristische, moralische, ästhetische, religiöse, mythologische als auch sozio-morphologische, also alle Bereiche des gesellschaftliche Lebens betreffende, Konsequenzen hatte. Diese knappe und unvollständige Erläuterung der Grundannahme Mauss soll uns an dieser Stelle genügen, um den Blick für ein tieferliegendes Verständnis des Eigentums in archaischen Gesellschaft öffnen zu können. Um nämlich verstehen zu können, warum der Austausch von Gaben ein Band zwischen den teilhabenden Parteien formte, das das Zusammenleben unter ihnen regelte, bedarf es einer Erläuterung dessen, was diese Menschen unter Eigentum verstanden.

In unseren heutigen, vornehmlich westlich-kapitalistischen Gesellschaften, hat sich ein profanes, durch die Geldflexibilität induziertes Verständnis von Eigentum durchgesetzt. Fast alles hat einen ökonomischen Wert, der in Geld genaustens aufgewogen werden kann. Das Recht, etwas sein Eigen nennen zu dürfen, lässt sich in den meisten Fällen über den Kauf eines Gutes mit Geld beschließen. Dinge haben einen schwankenden, jedoch im Augenblick der Transaktion festen Wert und wechseln ihren Besitzer nach Zahlung eines ausgemachten Preises. Für gewöhnlich, wir klammern den Fall der Garantie hier aus, ist der Kaufvertrag nach dem Austausch von Geld und Sache abgeschlossen und veranlasst keine weiteren Bindungen unter den Parteien. Anders ist dies in den von Mauss untersuchten früheren Gesellschaften, in denen bestimmte Güter nur als Schenkung an eine andere Partei weitergebenen werden konnten. Die Gabe eines solchen Gutes verpflichtete zur Erwiderung. Die Verpflichtung entstand aus der Natur der Sache selbst heraus. In denen von Mauss untersuchten Gesellschaften, hatten Gegenstände einen geistigen Charakter. So besaß das Schmuckstück eines Clans einen Teil der Seele der Gründergöttin des Hauses, die allen dem Clan zuzuordnenden Personen sowie Dingen innewohnte.

Aus diesem Verständnis heraus gab der Geber nicht nur ein bloßes Ding, sondern einen Teil seiner Seele selbst an den Empfänger. Der wiederum konnte sich von der durch die Schenkung entstandenen Abhängigkeit nur befreien, indem er sie erwiderte und ebenfalls einen Teil seiner Seele, transportiert über einen Gegenstand, gab. Das ausgetauschte Gut hatte also neben dem ökonomischen einen moralischen, geistigen Wert, indem das eigentliche Ziel des Austausches lag: der Aufbau einer Seelenbindung.

Um den Punkt noch einmal zu verdeutlichen: die Abhängigkeit, man könnte sagen Schuld, die die Gabe dem Empfänger bereitete, entstand aus dem Verständnis heraus, dass er etwas besaß, das ihm nicht gehörte, das ihn verfolge, ihm Unglück bringe, solange er es nicht mit Gleichem vergelte. Wie wir sehen können, waren die Personen und Dinge nicht voneinander zu trennen, sie waren Teil eines gemeinsamen Kosmos und hätten den Besitzer niemals durch einen profanen Geldvertrag wechseln können. Die Verschmelzung von Personen- und Sachrecht war es, die dem Gabenaustausch seine bindende Kraft verlieh. Die andere Partei war nun im Besitz von etwas, das ihr eigentlich nicht gehörte, ihr nicht gehören konnte, da es die Seele eines anderen enthielt und lediglich durch eine Gegengabe zu besänftigen war. Der Empfänger bezahlte nicht, wie wir es heute in unserer materialistischen Auffassung kennen, den Gegenstand, sondern befreite sich vielmehr von dem der Sache anhängenden Geist des Gebers. Im Gegenzug verlieh das Erwidern der Gabe Autorität und Macht über den ersten Geber, der nunmehr selbst zum Empfänger wurde. Wir haben es hier mit einem grundlegend anderen Verständnis von Eigentum zu tun, das den Dingen neben einem ökonomischen Wert einen geistigen Wert zuordnete, der niemals mit Geld, sondern nur durch äquivalente Gegengabe beglichen werden konnte.

Wie bereits Georg Simmel in seiner Philosophie des Geldes erkannte, führt der universelle Einsatz von Geld zu einer Trennung von Person und Sache, die erstere aus alten Zwängen befreit und individualisiert. Was verloren geht, ist die Bindung zum Gegenstand selbst, der lediglich mit Begleichen des ökonomischen Wertes seinen Besitzer wechseln kann. Eigentum ist unpersönlich und variabel geworden. Inwiefern dieses Verständnis von Eigentum die Verhaltensweisen in heutigen Gesellschaften beeinflusst und zu modernen Problem beiträgt, man denke an die so häufig postulierte „Wegwerfgesellschaft“, könnten Anknüpfungspunkte für weiterer Untersuchungen sein. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Beschäftigung mit soziologischen Klassikern auch noch, wenn nicht sogar besonders heute, zu neuen Erkenntnissen führen kann.

Quellen:

  • Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt am Main 1990.
  • Hartung, Gerald/Steinbach, Tim-Florian (Hrsg.): Georg Simmel: Philosophie des Geldes (Klassiker Auslegen, Bd. 71), 2020 Berlin/Boston.

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