Was ist Liebe? Begehren und Wissen im Eros

Seine Art ist weder die eines Unsterblichen noch die eines Sterblichen… Was er gewonnen hat, rinnt ihm immer wieder davon, so dass Eros niemals weder Mangel leidet noch Reichtum besitzt, vielmehr zwischen Weisheit und Unwissenheit in der Mitte steht.

Die Liebe, ein beliebtes Konzept in unserer Gesellschaft, wurde im Laufe der Jahre bearbeitet, konzeptualisiert und neu erfunden. Es wird als universelles und sogar zeitloses Gefühl betrachtet, das immer wieder mit einer emotionalen Anziehungskraft auf einen Gegenstand oder eine Person verbunden ist und auch die Eigenschaft hat, für das betreffende Subjekt besonders zu sein. Manchmal wird sie sogar mit der Sexualität als Ergänzung in Verbindung gebracht.


Schon die antiken Zivilisationen beschäftigten sich mit diesem Thema. Bei den Griechen ist es Platon (427-347 v. Chr.), ein Philosoph, der auf der Suche nach der begrifflichen Konstruktion der Liebe, die zum größten Teil in einer Reihe von schriftlichen Werken niedergelegt wurde, den zentralen Gedanken hatte, die Idee des Guten zu definieren.
Platon hat sein Denken implizit durch eine Theorie dargelegt, in der er von einer Welt der Ideen spricht und uns so die Liebe vorstellt. Sie wurde mit einer falschen Vorstellung von Liebe in Verbindung gebracht, der so genannten platonischen Liebe, die in der Populärkultur als Bezeichnung für eine unwirkliche, ja unmögliche Liebe verwendet wird, bei der die Beteiligten nur eine Idealisierung betreiben. Um diesen Begriff zu klären und zu einer entsprechenden Interpretation zu gelangen, ist es notwendig, von der Philosophie selbst auszugehen und zu fragen, was der Begriff der Liebe ist und wie er es uns ermöglicht, zur Idee des Guten zu gelangen.

Gemälde von Anselm Feuerbach, das eine Szene aus dem Symposion zeigt: Alkibiades kommt völlig betrunken in Agathons Haus an.

Dreizehnhundert Jahre vor Christi Geburt schrieb der Philosoph Platon ein Buch, in dem er die Grundbegriffe der Liebe darlegte. Das Kuriose an diesem Buch ist, dass es sich nicht um ein Handbuch oder eine Abhandlung handelt, wie man meinen könnte, sondern um den Bericht eines gemeinsamen Abendessens unter Freunden. Das Buch heißt Das Symposion, und wenn man es liest, wird man Zeuge eines der häufigsten Bräuche oder Rituale der griechischen Antike. Der von Platon erzählte Fall des Gastmahls beschreibt einen Abend, an dem sich sieben Freunde versammelten, um dem Hausherrn zu huldigen, und der sich in eine Ausstellung von Reden verwandelte, als einer von ihnen vorschlug, die Liebe zu preisen. Jeder trug eine Rede vor, in der er beschrieb, was Liebe ist und warum es notwendig ist, sie zu preisen.

In Symposion wird das Wesen der Liebe als eine Mischung aus Vollkommenheit und Unvollkommenheit erörtert, die den Menschen in einer Dualität aus leidenschaftlichem und rationalem Charakter metaphorisiert. Darüber hinaus ermöglichen es uns die Figuren der Erzählung, die Bedeutung der Liebe zu verstehen, und wie die Frage der Fortpflanzung im Schönen uns zum Guten führt. Das bedeutet, dass die Liebe durch einen endlosen Zyklus versucht, die Linie fortzusetzen, die das Gute erreichen will, was aufgrund der menschlichen Natur nicht ewig oder von selbst geschehen kann, sondern nur dank der Unsterblichkeit, die die Fortpflanzung im Schönen, sowohl nach dem Körper als auch nach der Seele (206b 13-14) vorsieht.

Für Platon impliziert die Liebe ein Begehren und ein Streben nach dem Guten (206a 1-2). Das Gute impliziert die Vollkommenheit der Dinge; es ist ein Zustand, in dem die Seele ihre vollkommenste und schönste Form erreicht. Seine Fortdauer wird nach Platon durch die Fortpflanzung erreicht.
Man kann es so interpretieren, dass die Liebe ein treibender Antrieb ist, damit der Mensch durch die Schönheit des Körpers und der Seele, die so geweiht sind, dass sie in ihrer maximalen Pracht sichtbar werden, zur Erkenntnis des Guten gelangt, denn für Platon ist sie die vollkommenste Art, die Welt zu verstehen.
Um die Beziehung zwischen Liebe und Idealen zu verstehen, und wie diese Liebe für Platon konstruiert ist, ist es wichtig, die Welt der Ideen zu betrachten. Unter dem Einfluss von Heraklit, der sagte, dass die Dinge zu ständiger Veränderung verurteilt sind: Werden, das heißt, es gibt keine absolute Wahrheit; und Parmenides, der in gewisser Weise gegen ihn, eine Konzeption des Seins, zu dem Schluss, dass diese von einem unveränderlichen Charakter ist. Platon verknüpft und ergänzt beides so, dass er eine Unterteilung der Welt, die sinnliche Welt und die Welt der Ideen, entstehen lässt. Das erste ist das, was wir durch unsere Sinne wahrnehmen, und das wäre eine unvollkommene Kopie des anderen, der Körper nimmt an dieser sinnlichen Welt teil, er ist in ständiger Veränderung. Während die Welt der Ideen diejenige ist, die an den Ideen teilhat, und daher die Sinne hier nicht von Nutzen sind, ist es möglich, sie durch die Vernunft zu erreichen, hier hingegen ist es die Seele, die beteiligt ist, und die uns zum Guten führen wird, werden die Dinge immer dieselben sein. Diese beiden sind wichtig, weil sie es uns ermöglichen, die Wahrheit zu erreichen, und nur durch die Idee finden wir die Vollkommenheit der Dinge.

In Sokrates‘ Konzept des Eros finden wir eine Liebe, die mit dem Körper und der physischen Auffassung der Dinge zusammenhängt, was sie in der sinnlichen Welt verortet. Das Wesen des Körpers ist das Streben: Die sinnliche Welt will in die Welt der Ideen übergehen, und obwohl sie nur eine unvollkommene Kopie ist, sind es Wunsch und Streben, die sie nützlich machen. In der Welt der Ideen finden wir das Gute, denn ein Körper reicht nicht aus, um es zu erreichen; seine Natur hält ihn an diese Welt gebunden. Ein Körper mit Bestrebungen und Wünschen ist ein Werkzeug, das der Seele hilft, sich in Schönheit und damit in Güte zu verewigen. Die Geschichte, die über Eros erzählt wird, bezeichnet ihn als eine Frucht der Dualität, arm, aber gleichzeitig auf der Suche nach dem Schönen und Guten, ein Liebhaber des Wissens.

Sokrates und Diotima

In seinem Diskurs über die Liebe erzählt Sokrates, was Diotima ihm über das Wesen des Eros geantwortet hat. Der Mythos von seiner Geburt veranschaulicht die Zwischenstellung des Eros zwischen Göttern und Menschen. Wir zitieren diese schöne Passage:

„Es ist ziemlich weitläufig, sagte sie, dies darzustellen; trotzdem will ich es dir erzählen: Als nämlich Aphrodite geboren war, schmausten die Götter, unter den anderen auch Poros, der Sohn der Metis. Als sie aber gespeist hatten, kam Penia, um sich, da es ja ein Fest war, etwas zu erbetteln und stand an der Tür. Poros nun ging, vom Nektar betrunken – denn Wein gab es noch nicht – in den Garten des Zeus und schlief schwer berauscht. Da sann Penia wegen ihrer Bedürftigkeit darauf, ein Kind von Poros zu bekommen; sie legt sich also zu ihm und empfing den Eros. Deshalb wurde Eros der Begleiter und Diener der Aphrodite, weil er an ihrem Geburtsfest gezeugt wurde und zugelich von Natur ein Liebhaber des Schönen ist, da ja auch Aphrodite schön ist.

Weil Eros nun Sohn des Poros und der Aphrodite ist, hat er folgendes Los: Erstens ist er ständig arm, und viel fehlt daran, dass er zart und schön wäre, wie die meisten glauben, sondern er ist rauh und nachlässig im Äußeren, barfuß und obdachlos; er schläft ohne Zudecke auf der bloßen Erde, indem er vor den Türen auf den Straßen unter freiem Himmel nächtigt, gemäß der Natur seiner Mutter stets ein Genosse der Bedürftigkeit.

Andererseits stellt er seinem Vater entsprechend dem Schönen und Guten nach, ist mannhaft, verwegen und beharrlich, ein gewaltiger Jäger, immer ein Ränkeschmied, der stets nach Einsicht trachtet und sie auch zu erwerben versteht, ein Philosoph sein ganzes Leben lang, ein gewaltiger Zauberer, Giftmischer und Sophist. Seine Art ist weder die eines Unsterblichen noch die eines Sterblichen, sondern an dem selben Tag blüht er bald und lebt er auf, wenn er Erfolg hat, bald stirbt er dahin, erwacht aber durch die Natur seines Vaters wieder zum Leben. Was er gewonnen hat, rinnt ihm immer wieder davon, so dass Eros niemals weder Mangel leidet noch Reichtum besitzt, vielmehr zwischen Weisheit und Unwissenheit in der Mitte steht.

Keiner von den Göttern strebt nach Weisheit, noch begehrt er, weise zu werden, ist er’s doch schon. (…) Andererseits streben auch die Unwissenden nicht nach Weisheit noch begehren sie, weise zu werden; denn gerade deshalb ist die Unwissenheit schlimm, weil man (…) mit sich selbst zufrieden ist; wer demnach nicht glaubt, bedürftig zu sein, der begehrt auch nicht, was er nicht zu entbehren glaubt.“


Die Ideen sind also das Wesen der Dinge. Diese Welt der Ideen durch die Implikationen der Liebe zu erreichen, ist eine komplizierte Aufgabe, weil die sinnliche Welt aufgrund ihrer sich verändernden Natur unzureichend ist. Die Tatsache, dass die Liebe der Motor der Suche ist, bedeutet, die Unwissenheit hinter sich zu lassen, und deshalb nähert sie sich der Vollkommenheit; sie versucht zu erklären, wie die Körper, die mit der Liebe verwandt sind, auch mit der Idee des Guten verwandt sind, so dass das erkennende Wesen die Schönheit durch das begreift, was in der scheinbaren Realität vorhanden ist.
Da wir von dieser Liebe zu Platon sprechen, ist es nur fair, auch von der Philosophie als solcher zu sprechen. Der Definition nach ist die Philosophie die Liebe zur Weisheit, der Philosoph strebt nach der Wahrheit, und die Weisheit ist der ideale Zustand. Der Mensch, der nach Liebe strebt, ist seinerseits auf der Suche nach dem Guten. Sich diese Philosophie zunutze zu machen, bedeutet, zu einem Wissen zu gelangen, das es uns ermöglicht, die Begriffe der Realität zu verstehen und somit zu einer angemessenen Nutzung der Realität zu gelangen.

Psyche wiederbelebt durch den Kuss der Liebe, ein Werk von Antonio Canova Louvre-Archiv

Wir können sehen, dass der Eros an einem Zwischenort zwischen Unwissenheit und Weisheit steht, das heißt, dass er auf der Suche nach der höchsten Idee ist, so dass wir die Liebe oder ihre Personifizierung des Eros als den Philosophen betrachten können. So sehen wir, dass die Liebe diese Suche nach Wissen antreibt und sich diese zunutze macht.
Die Liebe ist also ein nützliches Instrument der Erkenntnis, das uns zum höchsten Ideal führt. Wenn wir Weisheit erlangen, genießen wir ein Vergnügen, bei dem sich die Seele in der Realität wiederfindet und nicht nur in der Kopie der Realität. Nach Platons Philosophie liegt die Schönheit der Liebe in der vernünftigen und tugendhaften Seele. Dies zu erreichen, führt uns zur Vernunft, so dass die Liebe nicht auf das Sentimentale beschränkt ist; durch die Vernunft lassen wir Körper und Leidenschaften beiseite; der Mensch, der sie zu überwinden vermag, ist ein Mensch, der die wahren Freuden der Intellektualität zu erkennen vermag und der sich auch der Wirklichkeit, des Guten und des Schönen bewusst ist.

Die Philosophie ist diese Beziehung des Begehrens und der Bewunderung, so dass die Philosophie als die reinste Art der Liebe interpretiert wird, nach der wir alle streben sollten und die es wert ist, sie zu besitzen. In der Philosophie begegnet uns die Vernunft, die uns von einem sich verändernden Körper befreit und nach Wissen für Weisheit sucht.

τὸ δὲ ποριζόμενον ἀεὶ ὑπεκρεῖ, ὥστε οὔτε ἀπορεῖ Ἔρως ποτὲ οὔτε πλουτεῖ, σοφίας τε αὖ καὶ ἀμαθίας ἐν μέσῳ ἐστίν.

Quellen: Koch, M., Die Rede des Sokrates in Platons Symposion und das Problem der Erotik, Berlin 1886. Platon: Symposion. Griechisch/Deutsch Übers. und hrsg. von Thomas Paulsen und Rudolf Rehn, Reclam, 2006.

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