Vor 124 Jahren geboren: Jorge Luis Borges

Vor 124 Jahren geboren: Jorge Luis Borges
Spinoza knew that all things long to persist in their being; the stone eternally wants to be a stone and the tiger a tiger. I shall remain in Borges, not in myself (if it is true that I am someone), but I recognize myself less in his books than in many others or in the laborious strumming of a guitar. Years ago I tried to free myself from him and went from the mythologies of the suburbs to the games with time and infinity, but those games belong to Borges now and I shall have to imagine other things. Thus my life is a flight and I lose everything and everything belongs to oblivion, or to him.
I do not know which of us has written this page.
“Borges and I” by Jorge Luis Borges

Jedes Jahr am 24. August wird in Argentinien der Tag des Lesers begangen, der als Hommage an den Werdegang und das Vermächtnis des argentinischen Dichters, Essayisten und Schriftstellers Jorge Luis Borges erklärt wurde.
In einer idealen Welt, wie Borges sie sich vorstellte, wäre das Paradies eine Bibliothek: Bäume und Blumen wären Bücher, Tiere würden nur Worte sprechen und die verbotenen Früchte wären die Exemplare, die im obersten Regal stehen, die einzigartigen Bände, die ältesten und außergewöhnlichsten, Bände, mit deren Lektüre man es nicht eilig hat, weil sie das Leben schnell und unwiderruflich verändern.
Die grenzenlose Phantasie des Schriftstellers Jorge Luis Borges versetzt die Welt auch 124 Jahre nach seiner Geburt in Buenos Aires, dem Geburtsort eines „literarischen Wesens“, das mit seiner geistreichen Prosa und seinem ganz besonderen Humor die Geschichte tief geprägt hat, in Erstaunen.
Der am 24. August 1899 geborene Borges zeigte schon in jungen Jahren eine Hingabe an die Welt der Buchstaben, die ihn später zu einem universellen Autor machen sollte, mit einem Werk von starker Identität, das zahlreiche Generationen von Schriftstellern inspirierte und sie gleichzeitig auf Abstand hielt.
Bis zu seinem Tod 1986 in Genf (Schweiz) schuf der gefeierte Geschichtenerzähler ein bleibendes Vermächtnis an Kurzgeschichten, Gedichten und Essays, darunter so bedeutende Werke wie „Fiktionen“ (1944) und „Das Aleph“ (1949).

© imago / Leemage / Sophie Bassouls

Lob des Schattens

Das Alter (so nennen es die anderen)

ist vielleicht die Zeit unserer Glückseligkeit.

Das Tier ist gestorben oder fast gestorben.

Ich lebe unter lichten und vagen Formen,

die noch nicht die Dunkelheit sind.

Buenos Aires,

das sich früher bis zur endlosen Ebene

in Vorstädte aufspaltete,

ist nun wieder Recoleta, Retiro,

die unscharfen Straßen des Elften

und die baufälligen alten Häuser

dessen, was wir immer noch den Süden nennen.

In meinem Leben waren immer zu viele Dinge;

Demokritos von Abdera riß sich die Augen aus, um zu denken;

die Zeit war mein Demokritos.

Dieses Halbdunkel ist gemächlich und tut nicht weh;

es fließt einen sanften Abhang hinab

und gleicht der Ewigkeit.

Meine Freunde habe keine Gesichter,

die Frauen sind so, wie sie vor Jahren waren,

die Ecken sind vielleicht andere,

auf den Seiten der Bücher sind keine Buchstaben mehr vorhanden.

All dies sollte mich erschrecken,

doch ist es eher eine Süße, eine Rückkehr.

Von den Generationen von Texten, die es auf der Erde gibt,

werde ich nur einige wenige gelesen haben,

die, welche ich weiter in der Erinnerung lese,

lese und verwandle.

Vom Süden, vom Osten, vom Westen, vom Norden kommend,

treffen die Wege zusammen, die mich

zu meiner geheimen Mitte geführt haben.

Diese Wege waren Echos und Schritte,

Frauen, Männer, Qualen, Auferstehungen,

Tage und Nächte,

Halbträume und Träume,

jeder geringste Augenblick von gestern

und vom Gestern der Welt,

das feste Schwert des Dänischen und der Mond des Persischen,

die Handlungen der Toten,

die geteilte Liebe, die Worte,

Emerson und der Schnee und so viele Dinge.

Jetzt kann ich sie vergessen. Ich nähere mich meiner Mitte,

meiner Algebra und meinem Schlüssel,

meinem Spiegel.

Bald werde ich wissen, wer ich bin.

Elogio de la sombra (1969)

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