Die Federalist Papers und Kant: Republik statt Demokratie

Die Federalist Papers und Kant: Republik statt Demokratie
„Aber was ist die Regierung, wenn nicht die größte aller Betrachtungen des menschlichen Wesens?“ 

— James Madison, The Federalist Papers, 1787-88 

Demokratie und Republik sind Begriffe, die heute allgemein als Synonyme verwendet werden. Ohne bei einer Dekonstruktion beider Begriffe und ihrer Bedeutungen stehen zu bleiben, beabsichtige ich in diesem Artikel, ihnen entgegenzutreten und zwei ähnliche Positionen argumentativ zu verwenden.
Am Ende des 18. Jahrhunderts entstanden Schriften, die immer noch aktuell und reichhaltig sind, um philosophische Theorien zur Politik zu reflektieren: die „Federalist Papers“ (1787/88) und „Zum ewigen Frieden“ (1795) von Immanuel Kant. Die Federalist Papers und Kant sind sich darin einig, die Republik der Demokratie vorzuziehen. 

Die Federalist Papers waren „der beste Kommentar zu den Prinzipien der Regierung … der jemals geschrieben wurde“ laut Thomas Jefferson, einen der amerikanischen Gründerväter und später der dritte Präsident der jungen Nation. Für den britischen Philosophen aus dem 19. Jahrhundert John Stuart Mill war diese Sammlung von 85 kurzen Essays, „die aufschlussreichste Abhandlung zur amerikanischen Regierung, die wir besitzen“. Der scharfsinnige politische Kommentator Alexis de Tocqueville aus Frankreich schrieb 1835, es sei ein „ausgezeichnetes Buch, das den Staatsmännern aller Länder bekannt sein sollte“. 
Im Artikel Nr. 10 argumentiert der Federalist James Madison (der vierte Präsident der Vereinigten Staaten und einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten), dass die größte Bedrohung für den Staat von „Faktionen“ ausgeht, ihrem Zerfall in soziale Interessengruppen. Wenn eine dieser „Faktion“ die Mehrheit gewinnt, kann sie die Minderheit unterdrücken und damit drohen, eine Tyrannei zu gebären. Daher stellen die Interessengruppen ein Hindernis für die Entwicklung von Freiheit und Sicherheit dar.

„Unter einer Faktion verstehe ich eine Gruppe von Bürgern, – das kann eine Mehrheit oder eine Minderheit der Gesamtheit sein, – die durch den gemeinsamen Impuls einer Leidenschaft oder eines Interesses vereint und zum Handeln motiviert ist, welcher im Widerspruch zu den Rechten anderer Bürger oder dem permanenten und gemeinsamen Interesse der Gemeinschaft steht.“

– James Madison, Federalist Nr. 10

Der Federalist argumentiert dann, dass eine reine Demokratie keine Lösung für das Problem der Übel der Faktionen bietet.
Die Grundlage von Faktionen sind unterschiedliche soziale Interessen sowie Leidenschaften. Da Interessen nicht abgeschafft werden können, ohne die Freiheit zu unterdrücken, müssen ihre Auswirkungen kontrolliert werden. Man kann annehmen, dass der Schlüssel zur Erhaltung der Freiheit und des Funktionierens des Staates in einer Republik in erster Linie die Handlungsfähigkeit und die Unterdrückung der gegnerischen Kräfte (eine Gewaltenteilung) ist. Zu diesem Zweck schlagen die Föderalisten vor, der Staat so weit wie möglich auszubauen, denn das ist einer der wesentlichen Vorteile der Republik gegenüber der Demokratie. Die Regierung einer Republik wird an Vertreter delegiert und kann sich demzufolge über ein großes Gebiet erstrecken. Daher kann eine große Republik bessere Vertreter wählen als eine kleine, da die Zahl der Bürger und damit der Wahlmöglichkeiten und -Interessen viel größer ist.


Ein großer Bund kann eine effizientere Regierung erreichen, als wenn die Staaten ein hohes Maß an Unabhängigkeit bewahren würden. Das Prinzip der Gewaltenteilung gilt horizontal, d.h. der Machtkampf der drei Gewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) steht dem Machtkampf gegenüber und ist so ausbalanciert, dass Freiheit und institutionelle Ordnung gewährleistet bleiben. Wichtig ist, dass in einer Republik die Handlungsfähigkeit der Mächte groß ist und einen Staat dynamisch funktionieren lässt. Da die Republik groß ist, werden Probleme regionaler Interessen auf regionaler Ebene und Probleme von Machtinteressen auf Bundesebene durch eine starke Exekutive, zum Beispiel den Präsidenten der Vereinigten Staaten, gelöst.

James Madison – raclro / Getty Images


Man sieht, dass die stärksten Argumente der Federalist Papers für die Republik gegenüber der Demokratie die Repräsentativität und die Lösung von Interessenkonflikten sind. Ich glaube, dass der Traum der Gründerväter der Vereinigten Staaten uns sehr wohl dazu dienen kann, über die Unzulänglichkeiten unserer heutigen Demokratien nachzudenken und hinterfragen.


Im Fall Kant geht das Argument für Republik gegenüber Demokratie in eine andere Richtung. Kants politisches Denken wird von den Idealen der Freiheit, Gleichheit und dem Wert des Individuums beherrscht, typisch für eine Aufklärung, die Kant in seinen politischen Schriften ergänzt und verteidigt. Ebenso wie in der Ethik wird auch in der Politik der Einzelne als Bürger als schöpferisches Subjekt der gemeinsamen öffentlichen Tätigkeit betrachtet. Die Gesetzgebungsfähigkeit des Menschen beruht auf dem formalen Charakter, mit dem Kant die Ethik versteht und der im kategorischen Imperativ zum Ausdruck kommt. Dieser Imperativ, als formales Prinzip der praktischen Vernunft, wird sich auf alle Anwendungsbereiche der letzteren, einschließlich der politischen Tätigkeit, erstrecken.


Frieden und Freiheit spielen in der politischen Philosophie Kants eine zentrale Rolle, und für seine Argumentation möchte ich auf sein Werk „Zum ewigen Frieden“ verweisen. Man merkt, dass schon im Titel des Werkes Kant uns sagt, dass er sich nicht auf einen fertigen und beendeten Frieden bezieht, sondern auf einen aktiven Frieden, einen Frieden, der durch die Bemühungen der Bürgerinnen und Bürger der Republiken ständig erneuert wird. In diesem Werk sagt uns Kant, dass die Verfassung des Staates republikanisch sein muss. Eine republikanische Verfassung muss daher das Problem lösen, die individuelle Autonomie mit der gesellschaftlichen Ordnung in Einklang zu bringen. Die Wahl des Begriffs Republik von Kant, die auf den Rechten der Freiheit und Gleichheit beruht, scheint von der Französischen Revolution inspiriert worden zu sein.


Eine republikanische Verfassung ist die einzige, die zu ewigem Frieden führen kann, sagt Kant. Für den Philosophen aus Königsberg ist der Frieden im Naturzustand des Menschen nicht gesichert. Hier stimmt Kant mit Hobbes überein. Für Hobbes ist der Mensch in seinem natürlichen Zustand in ständigem Krieg mit dem Mensch – „homo homini lupus“. Doch während für Hobbes die Ordnung der Gesellschaft, die durch einen absoluten Souverän (den Leviathan) garantierte Glück ist, hat dies für Kant mehr mit praktischer Vernunft zu tun.
Die einzige Verfassung, die darauf antworten kann, ist die republikanische, die auf der Freiheit der Glieder der Gesellschaft (als Menschen), auf der Unterordnung aller unter eine gemeinsame Gesetzgebung (als Untertanen) und auf der Gleichheit aller (als Staatsbürger) beruht. Kant bezieht sich hier nicht auf eine moralische Freiheit, sondern auf eine politische Freiheit, d.h. die Befugnis, keinem Gesetz zu gehorchen, außerhalb dessen ich nicht meine Zustimmung gegeben habe. Das Abhängigkeitsprinzip bezieht sich auf die Tatsache, dass wir alle dem Gesetz in einem Staat untergeordnet sind. Ebenso bedeutet das Gleichheitsprinzip, dass wir alle als Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind.

Immanuel Kant – Encyclopedia Britannica


Diese republikanische Verfassung ist im Wesentlichen repräsentativ. Eine direkte Demokratie birgt die Gefahr einer willkürlichen Gewaltherrschaft, da die gleichen Leute, die die Gesetze machen, auch die sind, die sie verwalten.
Einmal gegründete Republiken führen zu friedlichen Beziehungen. Für diese Theorie argumentiert Kant, dass es in einer Republik, in der die individuellen Freiheitsrechte respektiert werden, sehr unwahrscheinlich ist, dass Individuen einer Kriegserklärung zustimmen und unter den Folgen des Krieges leiden wollen.
In einem Staat mit einer nicht republikanischen Verfassung ist Krieg stattdessen eine einfachere Sache, denn die Staatsoberhäupter beschließen, Krieg in ihrem eigenen Interesse zu führen, da Kriege sie nicht direkt betreffen. Aber der Einzelne will nicht unter den Folgen des Krieges wie Schulden, wirtschaftlichem Ruin und menschlichen Verlusten leiden. Ich denke hier, wie unsere Demokratien heute gerade unter dieser Warnung Kants leiden: Staatsoberhäupter erklären den Krieg, während ihre Bürger nicht einverstanden sind. Ein Beispiel könnte die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan sein: Deutschland beteiligte sich am internationalen Einsatz gegen den islamistischen Terrorismus in Afghanistan. Doch 20 Jahren später ist die Situation in Afghanistan nicht besser geworden. Wenn wir eine Umfrage unter deutschen Staatsbürgern durchführen würden, würde dann die Mehrheit die Beteiligung der Bundeswehr an einem solchen Krieg unterstützen? War die Beteiligung damals von einem Frieden-Vorsatz motiviert, oder eher von internationalen und geopolitischen Interessen der Mächten, wie bei fast allen Kriege?

Tausende Afghanen drängelten sich in Panik, in Todesangst am mit Stacheldraht gesicherten Flughafen von Kabul, während im August 2021 die letzten Maschinen der Alliierten abhoben. Tausende, denen Deutschland Schutz zugesagt hatte, blieben zurück und den Taliban ausgeliefert. Es gibt viel aufzuarbeiten.

(Tagesschau – Stand: 07.07.2022 03:46 Uhr)

Um die Republik von der Demokratie zu unterscheiden, verwendet Kant zwei Unterscheidungen: nach den Formen der Beherrschung (Autokratie, Aristokratie und Demokratie) und nach der Regierungsform (Republikanismus oder Despotismus). Die zweite Klassifizierung ist die wichtigste, und Kant sagt, dass Demokratie eine Form von Despotismus ist.
Das Problem der Demokratie besteht darin, dass die Legislative und die Exekutive letztlich in der Exekutive enden: Wenn die Regierung Gesetze anwendet, die sie selbst erlassen hat, wird der öffentliche Wille vom privaten Willen des Machthabers bestimmt.

Radikale Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump hatten am 6. Januar 2021 das Kapitol gestürmt.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)


Der grundlegende Unterschied zwischen Republik und Demokratie liegt für Kant in der Repräsentativität und der Gewaltentrennung. Für Kant bedeutet die Volkssouveränität nicht, dass das Volk die Gesetze sofort selbst macht. Souveränität wird durch Repräsentation ausgeübt. Die Schwierigkeit dabei ist, dass die Repräsentation in einer Demokratie klein ist, da es viele Bürger gibt, die sich mit öffentlichen Tätigkeiten und politischen Rollen befassen. Diese Situation führt dazu, dass jeder alles haben will: Wenn Jeder Gesetze erlässt, werden private Interessen durchgesetzt. Auch wichtig zu betonen ist, dass für die Republik die Zustimmung der Mehrheit nicht unbedingt erforderlich ist, denn wenn die Gesetze den Willen der Mehrheit ausdrücken, werden sie den Minderheiten auferlegt.

Der zweite grundlegende Aspekt für Kant ist die Gewaltentrennung. Die Gewaltentrennung geht Hand in Hand mit der Repräsentation. Kant betont die Trennung von Exekutive und Legislative, da diese Einheit zu Despotismus führt. In diesem Fall frage ich mich, ob Kant vielleicht ein Visionär war. Wenn der Philosoph sehen könnte, wie sich heute Despotismen unter dem Namen „Demokratien“ ausbreiten, wäre er überrascht, dass seine Vorstellungen über die Konzeption von Politik noch aktueller sind denn je. Denken wir kurz an Trump oder Bolsonaro, die ganz legitim gewählt wurden und für viele US-Amerikaner und Brasilianer noch bis heute die besten Optionen der Politik sind. Wir können wirklich überzeugt sein, dass heutzutage „die Demokratien“ nicht (mehr) existieren. Gewählt von einer Mehrheit der Bevölkerung zu werden, macht ein Regime oder Regierung nicht direkt zu einer Demokratie. Darin liegt das Hauptproblem meiner Meinung nach, denn heute wird die Bezeichnung „demokratisch“ so oft benutzt, immer mit der Überzeugung, dass „demokratisch“ ist, was die Mehrheit entscheiden kann. Politiker sprechen täglich von „demokratischen Werten“, „westlichen Demokratien“ und „demokratischer Grundordnung“. Doch die Worte entsprechen nicht die Realität und die Rechte der Frauen, der Minderheiten oder der Arbeiter werden weiter und überall unterdrückt, auch in der sogenannten westlichen Demokratien, die oft mit einer Doppelmoral versuchen, Moral zu teilen aber sie nicht selbst auszuüben.

The Federalist Papers | Teaching American History

Schließlich glaube ich, dass Kants Kritik an der direkten Demokratie heute eine „demokratische“ Kritik ist. Sie kann auch als ein Spiegelbild der Art und Weise dienen, wie wir uns die heutigen Demokratien vorstellen. Das ist die Tatsache, wie das Adjektiv „demokratisch“ heute in einer vulgären Weise verwendet wird; es ist eine Bewertung dessen, was demokratisch ist, als etwas, das aus der Entscheidung der Mehrheit, aus dem Konsens einer Gruppe hervorgeht. Man kann hoffen, dass uns die Lektüre der wertvollen Schriften der Federalist Papers und des Philosophen Kant Licht geben kann, um über eine neue Art und Weise nachzudenken, eine Demokratie zu konzipieren: eine Demokratie, die eher eine Republik sei.

Bibliographie:

Antike und moderne Demokratie, Ausgewählte Texte. Reclam, Ditzingen.

Botschaft der USA in Deutschland: https://usa.usembassy.de/etexts/gov/adverfassungfeder.htm (Letzter Zugang am 28.11.2022)

Kant, Immanuel: Werke in zwölf Bänden. Band 11, Frankfurt am Main 1977, S. 195.

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