Am Israel Chai: Albert Einstein und sein Judentum

Am Israel Chai: Albert Einstein und sein Judentum
Streben nach Erkenntnis um ihrer selbst willen, an Fanatismus grenzende Liebe zur Gerechtigkeit und Streben nach persönlicher Selbständigkeit – das sind die Motive der Tradition des jüdischen Volkes, die mich meine Zugehörigkeit zu ihm als ein Geschenk des Schicksals empfinden lassen...
Palästina wird eine Kulturstätte für alle Juden sein, eine Zuflucht für die Bedrängtesten, ein Feld der Betätigung für die Besten unter uns, ein einigendes Ideal und ein Mittel der inneren Gesundung für die Juden der ganzen Welt.

Der 27. Januar erinnert an die Befreiung des nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch sowjetische Truppen im Jahr 1945. Dieses Datum wurde im November 2005 offiziell zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts erklärt.
Anlässlich dieses wichtigen Gedenktages zitiere ich im Folgenden Auszüge aus einer persönlichen Arbeit über Albert Einstein und das Existenzrecht des Staates Israel. Die Erinnerung an die Schrecken des Menschenhasses, an die massenhafte Vernichtung von Juden und Minderheiten anderer Völker, von Homosexuellen und politischen Gegnern durch das Naziregime, verpflichtet uns heute nicht nur zur uneingeschränkten Anerkennung des Rechts auf Leben, auf Existenz und auf die Verteidigung der Demokratie.

Die Gründung Israels 1948 – Credit: AFP

Wenn wir von Einstein sprechen, meinen wir eines der größten Genies des 20. Jahrhunderts, das Entdeckungen und Wissen zur Geschichte der Menschheit beigetragen hat. Aber Einstein hatte auch eine andere Rolle, eine einzigartige humanistische Rolle. Einstein war nicht nur ein herausragender Physiker, sondern auch ein Wissenschaftler, der ein besonderes Gespür für die gesellschaftspolitischen Probleme seiner Zeit hatte und ein humanistischer Freidenker war. Der Vater der Relativitätstheorie war auch ein aktiver Kämpfer in den beiden Hauptbereichen seines öffentlichen Wirkens: der Verteidigung des jüdischen Volkes, dem er angehörte, und der Sache des Weltfriedens.

Einstein und das Judentum

Streben nach Erkenntnis um ihrer selbst willen, an Fanatismus grenzende Liebe zur Gerechtigkeit und Streben nach persönlicher Selbständigkeit – das sind die Motive der Tradition des jüdischen Volkes, die mich meine Zugehörigkeit zu ihm als ein Geschenk des Schicksals empfinden lassen.

So beginnt Einstein das Kapitel IV von „Mein Weltbild“, in dem er diese drei Traditionen als zentral für das Judentum empfindet und deshalb seine Zugehörigkeit als Privileg erlebt.
In der Tat stimmen die Analysen von Einsteins existenziellem und wissenschaftlichem Verhalten darin überein, dass diese Traditionen, die sein Leben maßgeblich beeinflusst haben, einen dauerhaften Orientierungsrahmen darstellen.

Wie sieht Einstein die Juden als Volk, und was macht sie als solches aus? Für ihn ist das jüdische Volk eine Gemeinschaft mit einem grundlegend moralischen Charakter. Der Kern des Judentums ist in seinem moralischen Geist zu finden. Unserem Physiker zufolge ist das jüdische Volk seit zwei Jahrtausenden im Besitz seiner Vergangenheit, einer Vergangenheit, die sich auf die Ausübung dieser moralischen Tradition konzentriert. Im Großen und Ganzen finden wir einen Juden, der Ehrfurcht vor den zentralen Prinzipien des Judentums, den Wurzeln des Judentums und den Botschaften des Judentums hat.

Doch Einstein ließ seine Ideale und seinen konzeptionellen Rahmen nicht auf seine persönlichen Überlegungen beschränkt, sondern setzte sich aktiv mit den grundlegenden Ereignissen auseinander, die das jüdische Volk erlebte.

Das Aufkommen des deutschen Antisemitismus nach dem Ersten Weltkrieg löste bei Einstein eine Gegenreaktion aus und führte dazu, dass er sich noch stärker mit seiner jüdischen Herkunft und Gemeinschaft identifizierte. Das eine Extrem waren deutsche Juden wie Fritz Haber, die alles taten, um sich zu assimilieren – einschließlich des Übertritts zum Christentum – und Einstein dazu drängten, es ihnen gleichzutun. Einstein verfolgte jedoch den gegenteiligen Ansatz, und gerade als er begann, sich einen Namen zu machen, schloss er sich der zionistischen Sache an. Er trat keiner zionistischen Organisation bei und ging auch nicht in eine Synagoge, um dort zu beten. Aber er sprach sich für die jüdische Ansiedlung in Palästina, für eine nationale Identität der Juden überall und für die Ablehnung von Assimilationsbestrebungen aus.

David Ben-Gurion signing a document during the foundation ceremony of the Hebrew University Medical School in Jerusalem (Image: National Photo Collection of Israel)

Einstein und sein Engagement für die zionistische Sache

Nachdem er sich entschlossen hatte, das Postulat aufzugeben, dass jede Form von Nationalismus schlecht sei, fiel es ihm leicht, den Zionismus mit größerem Enthusiasmus zu umarmen, denn seiner Meinung nach ist das Gefühl der Identifikation mit dem eigenen Volk nicht unbedingt unvereinbar mit der Sache des Friedens. Er brachte dies in einem Brief an Paul Epstein am 5. Oktober 1919 zum Ausdruck: 

Ich habe mich sehr über Ihren Brief gefreut, weil mir die zionistische Sache sehr am Herzen liegt… Ich hege ein starkes Vertrauen in die erfreuliche Entwicklung der jüdischen Kolonie und freue mich, dass es ein Fleckchen Erde geben soll, auf dem unsere Stammesbrüder keine Fremdlinge sein sollen. Die Universität kann nicht vom Lande erhalten werden, sondern ihre Kosten müssen von der Gemeinsamkeit der zerstreut lebenden Juden getragen werden, und auch die Studentenschaft muss grossenteils von auswärts kommen. Jedenfalls müssen wir dafür sorgen, dass diese Universität sich sehen lassen kann neben den besseren der europäischen Schwestern. An feinen Köpfen fehlt es wahrlich nicht… Man kann international gesinnt sein, ohne interesselos zu sein gegenüber den Stammes-Genossen.

Dieser letzte Satz des Briefes bringt zum Ausdruck, was von nun an Einsteins lebenslanges Denken sein sollte, wobei sein Engagement für die zionistische Sache, den Staat Israel und die Hebräische Universität in Jerusalem für ihn ebenso wichtig und wertvoll sein sollte wie Frieden und internationale Zusammenarbeit.

Im Jahr 1922 erschütterte ein Attentat Deutschland und Europa, das ein Zeichen für die wachsende und radikale Gewalt und Verfolgung war: Walther Rathenau, der deutsche Außenminister, wurde am 24. Juni von zwei Armeeoffizieren ermordet, die Mitglieder einer geheimen, antisemitischen und rechtsextremen Organisation waren. Dieses Attentat war Teil des Beginns eines Prozesses der Radikalisierung und Verfolgung von Juden, den Einstein schon vorher gesehen hatte und der in ihm ein klares Bewusstsein für das schuf, was geschah und – prophetisch gesehen – auch geschehen würde:

Rathenaus Ermordung hat mich tief erschüttert und auch allgemein grosse Erregung hervorgerufen. Ob es der Reichsregierung gelingen wird, aller widerstrebenden Faktoren Herr zu werden ist leider zweifelhaft. Besonders auf die Reichswehr scheint kein Verlass zu sein. Die alten Traditionen von der Verachtung des Moralischen—erfunden für Zwecke der äusseren Politik—rächen sich nun im Innern.

Um 1929 kam es zu einem Wortwechsel mit dem bayerischen Staatsminister Dr. Willy Hellpach, der Einsteins zionistische Auffassungen als sektiererischen Nationalismus scharf kritisiert hatte. Einsteins Antwort ist so prägnant und dient als beispielhafte Zusammenfassung seiner Ansichten über den Zionismus und das, was manche als Widerspruch in unserem Physiker bezeichnen, dass wir sie vollständig zitieren möchten:

Ich habe Ihren Artikel über den Zionismus und die Tagung in Zürich gelesen und fühle das Bedürfnis, Ihnen, wenn auch nur kurz, zu antworten als einer, welcher der Idee des Zionismus sehr er-geben ist. Die Juden sind eine Bluts- und Traditionsgemeinschaft, bei der die Religion keineswegs das einzige Bindende ist. Dies beweist schon die Haltung der übrigen Menschen gegen die Juden. Als ich vor fünf-zehn Jahren nach Deutschland kam, entdeckte ich erst, daß ich Jude sei, und diese Entdeckung wurde mehr durch Nichtjuden als durch Juden vermittelt.

Die Tragik der Juden liegt darin, daß sie Menschen eines gewissen Entwicklungstypus sind, denen die Stütze einer sie verbindenden Gemeinschaft fehlt. Unsicherheit der Individuen, die sich bis zur moralischen Haltlosigkeit steigern kann, ist die Folge. Ich erkannte, daß eine Gesundung dieses Volkes nur möglich war dadurch, daß alle Juden der Erde zu einer lebendigen Gemeinschaft verbunden wurden, welcher der einzelne freudig angehört und die ihm den Haß und die Zurücksetzung erträglich macht, die er von anderer Seite überall zu erdulden hat.

Ich sah die würdelose Mimikry wertvoller Juden, daß mir das Herz bei diesem Anblick blutete. Ich sah, wie Schule, Witzblätter und unzählige kulturelle Faktoren der nichtjüdischen Mehrheit das Selbstgefühl auch der Besten meiner Stammesgenossen untergruben, und fühlte, daß es so nicht weitergehen dürfe.

Da erkannte ich, daß nur ein gemeinsames Werk, das allen Juden der Welt am Herzen läge, dies Volk gesunden lassen konnte. Es war eine große Tat von Herzl, daß er erkannte und mit aller Energie darauf hinwies, daß bei der vorhandenen traditionellen Einstellung der Juden die Errichtung einer Heimstätte oder-sachlich richtiger ausgedrückt-Zentralstelle in Palästina das Werk war, auf das man die Kräfte konzentrieren konnte.

Sie nennen das alles Nationalismus – und nicht ganz mit Unrecht. Aber ein Gemeinschaftsstreben, ohne das wir in dieser feindlichen Welt nicht leben und nicht sterben können, kann immer mit diesem häßlichen Namen bezeichnet worden. Jedenfalls ist ein Nationalismus, der nicht nach Macht, sondern nach Würde und Gesundung strebt. Wenn wir nicht unter intoleranten, engherzigen und gewalt-tätigen Menschen leben müßten, wäre ich der erste, der jeden Nationalismus zugunsten des universalen Menschentums verwerfen würde!

Der Vorwurf, daß wir Juden keine ordentlichen Staatsbürger z. B. des deutschen Staates sein könnten, wenn wir eine ‚Nation“ sein wollten, entspricht einer Verkennung der Natur des Staates, der aus der Intoleranz der nationalen Mehrheit entspringt. Vor dieser In-toleranz werden wir nie geschützt sein, ob wir uns ‚Volk“ bzw. ‚Nation“ nennen oder nicht.

Dies habe ich alles, um kurz zu sein, so nackt und brutal hinge-stellt; aber ich kenne Sie aus Ihren Schriften als einen, der nicht auf die Form, sondern auf den Sinn achtet. …‘.

Einstein macht sich den Zionismus in all seinen Erscheinungsformen zu eigen, wobei er stets einem Friedensmodell folgt, und stellt sich seinen Kritikern aus der liberalen und sozialdemokratischen Perspektive der damaligen Zeit entgegen. Im Jahr 1933 verließ er Deutschland für immer. Er war einer derjenigen, die am deutlichsten sahen, was passieren würde. Mit seinem Rücktritt und seinem Exil, in dem er sich mit der Mehrheit des deutschen Volkes, der Nazipartei und der deutschen Wissenschaft anlegte, was ihm eine Art öffentliche Exkommunikation einbrachte, begann er eine Wanderung durch Europa, bis er schließlich in den Vereinigten Staaten ankam.

Gegen Ende seines Lebens, im Jahr 1952, nach dem Tod von Jaim Weitzman, erhielt Einstein von David Ben Gurion den Vorschlag, Präsident des jungen Staates Israel zu werden. In seinem Antwortschreiben, in dem er die Auffassung vertritt, dass er nicht genügend Verdienste hat, um das Präsidentenamt anzustreben, sagt er: „Meine Beziehung zum jüdischen Volk ist die stärkste meiner menschlichen Bindungen geworden“. Diese Worte machen deutlich, was diese Beziehung in seinem Leben bedeutete und wie seine Identität mit dem Judentum und dem Zionismus das Rückgrat seines Lebensweges bildete.

„Besonders groß ist gegenwärtig der äußere Druck, der auf dem jüdischen Volk lastet. Aber gerade diese Not ist uns heilsam gewesen. Eine Erneuerung jüdischen Gemeinschaftslebens hat eingesetzt, von der sich die vorletzte Generation nichts hätte träumen lassen. Unter der Wirkung neu erwachten jüdischen Solidaritäts-Gefühls ist die von hingebenden und umsichtigen Führern unter unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten ins Werk gesetzte Kolonisation Palästinas bereits zu so schönen Erfolgen gediehen, daß ich nicht an einem dauernden Erfolg zweifle. Der Wert dieses Werkes für die Juden der ganzen Welt ist ein hoher. Palästina wird eine Kulturstätte für alle Juden sein, eine Zuflucht für die Bedrängtesten, ein Feld der Betätigung für die Besten unter uns, ein einigendes Ideal und ein Mittel der inneren Gesundung für die Juden der ganzen Welt.“

-Aus Auszügen der wissenschaftlichen Arbeit für Wissenschaftsphilosophie „Albert Einstein: Das Genie und sein Zionismus. Einstein als Jude und sein Engagement für den Staat Israel“ Vorgelegt von Gabriel Alejandro Valdez mit Datum 26.01.2023 bei der Universität Bonn-

Bibliographie:

Einstein, Albert, Mein Weltbild, Carl Seelig (Hg.), Ullstein Tas, 1998.
Einstein, Albert, Ideas and Opinions, Crown, 1995. The Collected Papers of Albert Einstein, Princeton University Press.

Bild: Albert Einstein and David Ben-Gurion. Credit: Israel GPO.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.