Nie wieder ist jetzt

Nie wieder ist jetzt

Unser Erlebnis in Auschwitz

„Ich bekam Angst, mich anzustecken, und war versucht wegzulaufen. Und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Ein Kamerad sagte mir, wir seien in Auschwitz. Es war uns klar, dass etwas Schreckliches über diesem Ort lag: Wir fragten uns, wozu all die Baracken, die Schornsteine und die Räume mit den Duschen gedient hatten, die einen seltsamen Geruch verströmten. Ich dachte an ein paar Tausend Tote – nicht an Zyklon B und das Ende der Menschlichkeit.“ Jakow Wintschenko

Am 27. Januar 2023 sind 78 Jahre seit der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vergangen. Nur wenige Zeitzeugen und Überlebende können heute noch von ihrem Schicksal berichten. Die wenigen, die überlebt haben, werden bald nicht mehr in der Lage sein, ihre Geschichte zu erzählen. „Wer Zeitzeugen zuhört, der wird selbst zu einem“, sagte Elie Wiesel in einer Rede in Yad Vashem. Deshalb ist es so wichtig, die Zeugnisse der Überlebenden dieses Grauens zu hören und ihre Erinnerungen für künftige Generationen zu bewahren. 

In Auschwitz ermordeten die Nazis mehr als eine Million Menschen. Alles, was bleibt, sind die Habseligkeiten der Opfer, ihre Koffer, Schuhe, Brillen, Kleider, Briefe. Dieses stumme Zeugnis des Holocausts droht nach einem Dreivierteljahrhundert zu zerfallen, doch es bleibt das eigentliche Zeugnis der schlimmsten Tragödie, die die Menschheit je begangen hat. Das ganze Grauen ist für die meisten Menschen heute unvorstellbar, deshalb sind die Erinnerung an diese Gräueltaten, die Zeugnisse der Überlebenden, die Ausstellung der Überreste der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager eine grundlegende Verantwortung der Menschheit.

Auschwitz ist in der ganzen Welt zu einem Symbol für Terror, Völkermord und die Shoah geworden. Es wurde 1940 von Deutschen in den Vororten von Oświęcim errichtet, einer polnischen Stadt, die von den Nazis dem Dritten Reich einverleibt wurde. Der Name der Stadt wurde in Auschwitz geändert, was auch der Name des Konzentrationslagers Auschwitz wurde. 

Wir hatten im Rahmen eines sechstägigen Seminars der Friedrich-Ebert-Stiftung die Möglichkeit, sowohl das sogenannte „Stammlager Auschwitz“, als auch das Konzentrationslager „Auschwitz-Birkenau“ mit eigenen Augen sehen zu können. Die Erfahrungen, die ich dort gesammelt habe, haben mich tief berührt und nachdenklich gestimmt.

Das „Stammlager“ wirkt auf den ersten Blick wie eine kleine Stadt, voll von kleinen steinernen Häusern, welche gar nicht erahnen lassen, was sich hier vor etwa 80 Jahren abgespielt hat. Die Ausstellungen darin führen dem Besucher jedoch vor Augen, welchen Terror die Insassen erleiden mussten. An diesem Ort wurden über eine Million Menschenausgebeutet, entmenschlicht, ermordet, und das nur aufgrund des Glaubens ihrer Vorfahren. 

Besonders erdrückend waren hierbei die Berge an Haaren, Schuhen, und anderen Kleidern, welche den Deportierten gestohlen wurden. Sie erzählen stumme Geschichten von Menschen, die hier gefangen gehalten wurden, ihrer Würde beraubt und letztendlich ihr Leben verloren. Die schiere Menge dieser persönlichen Gegenstände macht den Holocaust real und greifbar, und sie mahnen uns, niemals zu vergessen.

Ebenso tief bewegt hat mich das „Buch der Namen“. Die unzähligen Namen der Opfer, die in diesem zwei Meter dicken Buch verzeichnet sind, sind keine abstrakten Zahlen oder Statistiken, sondern sie repräsentieren individuelle Leben, die grausam beendet wurden. Hinter jedem Namen verbirgt sich eine Geschichte, eine Familie, unerfüllte Träume. Dieses Buch fordert uns auf, die Erinnerung an diese Menschen und ihre Geschichten zu bewahren und zu ehren.

Die Ausstellung zum jüdischen Leben in Europa vor dem Zweiten Weltkrieg, welche man dort besuchen kann, hat mir gezeigt, wie reich und vielfältig die jüdische Kultur in Europa einst war. Sie verdeutlicht, dass der Holocaust nicht nur eine Tragödie für die jüdische Gemeinschaft, sondern für die gesamte Menschheit war. Der Verlust dieses kulturellen Erbes ist eine Narbe in der Geschichte Europas, die nie verheilt werden kann.

Während das Stammlager Auschwitz heutzutage von Wohngebäuden in surrealer Weise umbaut und so ein Teil des heutigen Stadtbildes geworden ist, liegt das um ein vielfaches größere KZ Auschwitz-Birkenau etwa drei Kilometer vom Stammlager entfernt etwas außerhalb der Stadt. Dieses wurde 1941 als Erweiterung des Stammlagers angelegt und mit vier Gaskammern ausgestattet. Die Menschen, die beim Ankommen nicht sofort zum Sterben in diese Gaskammern geschickt wurden, mussten sich zu Tode arbeiten, litten permanent an Hunger, schliefen in Holzbaracken zusammengepfercht auf Brettern und Stroh. Während bei den Ausstellungen im Stammlager eher auf museale Aufarbeitung gesetzt wird, kann man hier noch die unmenschlichen Lebensbedingungen sehen und das große Leid der Menschen spüren, deren Leben hier auf grausamste Weise ihr Ende fanden.

„Auch die heutige und die zukünftige Welt müssen wissen, wie das Unrecht, die Sklaverei der Zwangsarbeit und der Massenmord organisiert wurden und wer die Verantwortlichen dafür waren. Dies soll immer wieder dokumentiert und den jungen Menschen erklärt werden: Zur Erinnerung an uns und unsere ermordeten Angehörigen und zu ihrem Schutz in ihrer Zukunft.“

Noach Flug sel. A., 1925-2011, Auschwitz-Überlebender und Präsident des IAK

„So seltsam es klingen mag: Auschwitz bleibt uns anvertraut. Es gehört uns, so, wie uns die übrige eigene Geschichte gehört. Mit ihr in Frieden zu leben, ist eine Illusion; denn die Herausforderungen und die Heimsuchungen nehmen kein Ende.“

Siegfried Lenz 

Ein sehr bewegendes Erlebnis war der Besuch einer Kunstausstellung im Maximilian-Kolbe-Zentrum in einer Kirche in Harmęże. Die Werke im Untergeschoss der Kirche stammen von Marian Kołodziej, einem Polen, der mit der Nummer 432 zu den ersten Häftlingen in Auschwitz ab 1940 gehörte und nach dem Durchlaufen verschiedenen Todeslager nach der Befreiung von Auschwitz 1945 überleben konnte. Ein Schlaganfall 1992 bewirkt eine Wende im Umgang mit seiner Vergangenheit. Er beginnt halbseitig gelähmt seine Erinnerungen mit Bleistift aus sich „heraus zu zeichnen“ in einer schier erschlagenden Fülle von Skizzen. Ein wesentliches Motiv ist die „Erinnerung an die Pflicht“ gegenüber seinen Leidensgenossen. 

„… Es geht gleichfalls um uns, um das, was wir mit unserem Menschsein gemacht haben – eine Gelegenheit, um nachzudenken und daraus wesentliche Schlussfolgerungen für uns heute zu ziehen. Ein Brief eines alten Mannes an sich vor 55 Jahren. Ausdruck der Ehrerbietung für alle, die – zu Asche geworden – verschieden sind“.

Marian Kołodziej im März 1995

Diese Bilder waren sehr bewegend, da sie den menschlichen Schmerz inmitten des Terrors zum Ausdruck brachten, gleichzeitig aber auch dem Leiden eine metaphysische Bedeutung gaben. In mehreren Werken ist nicht nur der heilige Maximilian Kolbe zu sehen, der katholische Priester, der sein Leben im Austausch für einen anderen Häftling in Auschwitz opferte und diesen dadurch retten konnte. Die Bilder, in denen Christus als ein weiterer Häftling in Auschwitz zu sehen ist, schienen mir eine sehr starke und interessante Symbolik zu haben, denn sie zeigen, dass es in dieser Hölle der Konzentrationslager auch Situationen der Hoffnung, des Glaubens und des Mitgefühls gab.

Das Leben entflieht schnell. Nicht eine Sekunde kehrt zurück. Bemühen wir uns, möglichst viele Beweise der Liebe zu geben.“

Hl. P. Maximilian Maria Kolbe


Unsere gesamte Erfahrung während dieser Woche in Auschwitz war sehr wichtig für uns, für unsere Art, das Leben und die Welt zu sehen, und um uns zu motivieren, nicht nur das Bewusstsein für die Bedeutung von Respekt und Toleranz zu schärfen, sondern auch ein menschliches Modell zu verteidigen, in dem alle Arten von Hass und Extremismus bekämpft werden. In diesen Zeiten von Kriegen und Konflikten, die auf Hass und Antisemitismus beruhen, erscheint es uns wichtig, nicht nur über Auschwitz und die Schrecken, zu denen Menschen fähig sind, nachzudenken, sondern auch die Bedeutung des „NIE WIEDER“ in unsere Zeit zu über-setzen. Möge dieses „Nie wieder“ heute und für immer ein ständiger Imperativ für die gesamte Menschheit sein.

Nie wieder ist jetzt

-Alle Rechte der Bilder gehören zur Sokratiker-

Quellen:

Jan Pagers – Gabriel Valdez

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